NEUE JUDIKATUR ZUM FAMILIENRECHT & WEITERE NEWS
Der Blog umfasst aktuelle Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Arbeit im Familienrecht und nützliche Informationen.
Bei den wiedergegebenen OGH-Entscheidungen handelt es sich um wörtliche Zitate (teilweise ohne Belegstellen).
Strittiger Restnutzen bei Auflösung einer Lebensgemeinschaft
Leistungen und Aufwendungen, die Partner:innen im Rahmen einer Lebensgemeinschaft erbringen, sind im Regelfall unentgeltlich und können daher grundsätzlich nicht zurückgefordert werden. Anderes gilt für außergewöhnliche Zuwendungen, die erkennbar in der Erwartung des Fortbestehens der Lebensgemeinschaft gemacht werden und bei Zweckverfehlung nach § 1435 ABGB rückforderbar sind. Allerdings bezieht sich eine solche Zweckverfehlung nur auf den die Auflösung der Lebensgemeinschaft überdauernden Nutzen. In einer Entscheidung vom August 2024 erläutert der OGH die wesentlichen Leitlinien zur Beachtlichkeit eines derartigen Restnutzens im Hinblick auf erhebliche Zahlungen der Frau an den Mann und dessen Forderung, dass sie sich an den im Verlauf der mittlerweile beendeten Lebensgemeinschaft entstandenen Wohnungskosten beteiligen müsste.
Die Klägerin und der Beklagte lebten von Ende des Jahres 2015 bis Ende April 2022 in einer Lebensgemeinschaft. Im Oktober 2020 verstarb die Mutter der Klägerin, sodass diese im Sommer 2021 rund 400.000 € erbte.
Im Frühjahr 2016 zog die Klägerin in das Haus des Beklagten, der von Beginn an die liegenschaftsbezogenen Aufwendungen von 350 € monatlich beglich. Darüber hinaus bediente er die Raten für den auf der Liegenschaft besicherten Kredit für das Haus. Der Beklagte forderte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt auf, sich an diesen Kosten zu beteiligen.
Als die Klägerin im Sommer 2021 das Erbe ihrer Mutter antrat, ging es dem Beklagten psychisch nicht gut. Er rechnete damit, in Frühpension geschickt zu werden. Nachdem die Klägerin aufgrund der Erbschaft nunmehr wirtschaftlich wesentlich besser gestellt war als der Beklagte, wollte sie ihren damaligen Lebensgefährten unterstützen und schuldenfrei stellen. Dabei war sie von dem Gedanken geleitet, den Beklagten von den Banken und den Schwankungen des Finanzmarkts unabhängig zu machen.
Der Beklagte verdiente zunächst 1.900 € netto monatlich und seit Antritt der Frühpension im Herbst 2021 2.050 € netto monatlich. Er hatte zu keinem Zeitpunkt Schwierigkeiten, seinen Lebensunterhalt bzw. seine (Fix-)Kosten zu bestreiten. Im Sommer 2021 hatte er einen mit etwa 27.000 bis 28.000 € aushaftenden Bankkredit zurückzuzahlen, der mit seiner Liegenschaft besichert war. Diesbezüglich bat die Klägerin den Beklagten, ihr bekannt zu geben, in welcher Höhe der Kredit noch offen war.
Im selben Zeitraum überlegten die Parteien, ein neues Auto anzuschaffen. Die Klägerin, die das Fahrzeug des Beklagten für marode und unsicher befand, wollte vermeiden, dass der Beklagte einen Leasingvertrag für ein neues Auto abschließen und sich neuerlich finanziell abhängig machen würde. Daher kam sie für die Anschaffungskosten eines neuen Fahrzeugs auf. Da der Vater des Beklagten vor seiner Pensionierung bei einer Versicherung gearbeitet hatte, entschieden die Parteien, den Wagen auf den Beklagten anzumelden, um bessere Versicherungskonditionen zu erhalten.
In beiden Fällen wollte die Klägerin den Beklagten aufgrund derselben Motivation unterstützen und ihn finanziell unabhängig stellen, sodass sie ihm für den offenen Kredit und das Fahrzeug insgesamt 55.000 € zur Verfügung stellte und den Betrag auf das Konto des Beklagten überwies. Zwischen den Parteien gab es keine Absprache, dass dieser Betrag generell oder bei Trennung zurückzuzahlen ist bzw. dass es sich um Schenkungen handelte. Überhaupt blieben die finanziellen Belange zwischen den Parteien während aufrechter Partnerschaft ungeklärt und wurden nicht angesprochen.
Der Grund für die Trennung der Parteien kann nicht festgestellt werden.
Nach der Trennung kommunizierten die Parteien darüber, dass das Fahrzeug zurückgestellt werden sollte, womit der Beklagte einverstanden war. Es kann nicht festgestellt werden, weshalb die Übergabe bisher unterblieb.
Die Klägerin begehrte Zahlung von 83.226,90 € s.A. Sie habe dem Beklagten während aufrechter Lebensgemeinschaft vier Darlehen gewährt, nämlich am 18.6.2021 über 17.000 €, am 29.6.2021 über 4.250 €, am 6.8.2021 über 55.000 € und am 11.8.2021 über 6.976,90 €. Nach der Beendigung der Lebensgemeinschaft habe der Beklagte zunächst die Rückzahlung zugesagt, diese Zusage aber nicht eingehalten. Sofern die Zahlungen der Klägerin nicht als Darlehen zu qualifizieren seien, sei der Beklagte dadurch jedenfalls infolge Zweckverfehlung durch die Beendigung der Partnerschaft bereichert. Es handle sich um außergewöhnliche Zuwendungen, die von der Klägerin erkennbar in der Erwartung des Fortbestehens der Lebensgemeinschaft gemacht worden seien.
Der Beklagte beantragte Klageabweisung. Die Klägerin habe ihm die Geldbeträge geschenkt, weil sie ihn finanziell habe unterstützen wollen. Die Zahlungen seien mit der Absicht erfolgt, den Beklagten von den Banken finanziell unabhängig zu machen. Von einem Darlehen sei nie die Rede gewesen. Darüber hinaus wendete der Beklagte einen Mietkostenbeitrag in Höhe von 49.400 € als Gegenforderung ein, weil die Klägerin während der aufrechten Beziehung für mehrere Jahre in seinem Haus gewohnt habe, ohne sich – entgegen der anderslautenden Vereinbarung – an den Wohnkosten beteiligt zu haben.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es führte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – aus, dass in Ermangelung einer Schenkung oder eines Darlehens die bereicherungsrechtlichen Regelungen zur Anwendung kämen. Da die Klägerin die Intention gehabt habe, den Beklagten dauerhaft lastenfrei zu stellen und ihn finanziell zu unterstützen, könne allerdings von einer Zweckverfehlung keine Rede sein. Die Motivation der Klägerin sei über das Bestehen der Lebensgemeinschaft hinausgegangen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Klägerin sei es nicht gelungen aufzuzeigen, inwieweit die von ihr gemachten Zuwendungen in der für den Beklagten erkennbaren Erwartung des dauerhaften, in alle Zukunft reichenden Fortbestehens der Lebensgemeinschaft erbracht worden sein sollten.
Der OGH gab der Revision der Klägerin teilweise Folge, hob die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang einer Abweisung von 28.226,90 € s.A. in Rechtskraft erwuchsen, im darüber hinausgehenden Umfang (Abweisung von 55.000 € s.A.) einschließlich der Kostenentscheidungen auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
Aus der OGH-Entscheidung:
3. Im Revisionsverfahren ist ausschließlich der Anspruch nach § 1435 ABGB strittig. (…)
4.1. Die von einem Lebensgefährten während der Lebensgemeinschaft erbrachten Leistungen und Aufwendungen sind in der Regel unentgeltlich und können daher grundsätzlich nicht zurückgefordert werden (RS0033705 [T2]). Leistungen und Aufwendungen, die keinen in die Zukunft reichenden Zweck aufweisen, sondern ihrer Natur nach für den entsprechenden Zeitraum der bestehenden Lebensgemeinschaft bestimmt sind, haben bei einer späteren Aufhebung der Lebensgemeinschaft ihren Zweck nicht verfehlt (RS0033701). Dies gilt etwa für laufende Zahlungen für den gemeinsamen Unterhalt, die gemeinsame Wohnung (RS0033701 [T1, T2]) oder ganz allgemein für die Anschaffung von Sachen, die zum sofortigen Verbrauch bestimmt sind (RS0033701 [T2, T3]).
4.2. Ein Partner kann allerdings nach dem Ende der Lebensgemeinschaft nach § 1435 ABGB außergewöhnliche (vgl. 5 Ob 174/09p) Leistungen (z.B. Erwerb einer Wohnung oder Errichtung eines Hauses [vgl. RS0033921] oder Anschaffung eines Pkw [7 Ob 600/81]) zurückfordern, die er erkennbar im Hinblick auf das Weiterbestehen der Gemeinschaft erbracht hat (vgl. RS0033698; RS0033914 [T2]), soweit ein die Lebensgemeinschaft überdauernder Nutzen verbleibt (vgl. RS0033921 [insb. auch T10]). Der Anwendungsbereich dieser Kondiktion erstreckt sich auf all jene Fälle, in denen eine Leistung in der Erwartung erbracht wird, dass der Empfänger seinerseits eine Gegenleistung erbringt, zu der er sich aber nicht verbindlich verpflichten kann oder nicht verpflichten will. Ein solcher Zweck kann der weitere Bestand der Lebensgemeinschaft oder auch die gemeinsame Nutzung eines gemeinsam gebauten Hauses sein (RS0033952 [T12]). Die Kondiktion ist zulässig, wenn sich der Leistungsempfänger über den Zweck und den Charakter der Leistungen im Klaren war oder sich hätte im Klaren sein müssen (RS0033952 [T15]).
4.3. Die Zahlungen der Klägerin an den Beklagten für den Kredit und das neue Fahrzeug in Höhe von insgesamt 55.000 € sind nicht als laufende Zahlungen, die ihrer Natur nach nur für den Zeitraum der bestehenden Lebensgemeinschaft bestimmt waren, sondern als außergewöhnliche Zuwendungen zu qualifizieren. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts musste sich der Beklagte bei Zahlungen für die Tilgung eines liegenschaftsbezogenen Kredits und für den Ankauf eines Neuwagens angesichts der lang- oder zumindest längerfristigen Nutzungsmöglichkeit dieser finanzierten Gegenstände und der Höhe des Aufwands im Verhältnis zum Vermögen der Klägerin auch im Klaren sein, dass die Klägerin diese lediglich in Erwartung des Fortbestehens der von ihnen geführten jahrelangen Lebensgemeinschaft erbracht hatte (vgl. 1 Ob 173/15w). Daran ändert auch die Feststellung des Erstgerichts nichts, dass die Klägerin diese dem Beklagten dauerhaft zuwenden und ihn damit schuldenfrei stellen wollte, weil sich daraus gerade nicht ergibt, dass die Klägerin diese Leistungen dem Beklagten unabhängig vom Bestehen der Lebensgemeinschaft endgültig zukommen lassen wollte. Der Beklagte musste nach Ansicht des Senats vielmehr hier erkennen, dass die Klägerin ihn nur deshalb schuldenfrei stellen wollte, weil sie den Fortbestand der Lebensgemeinschaft erwartete. Sie wollte in Zukunft mit einem „schuldenfreien Lebensgefährten“ zusammenleben.
Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 1 Ob 16/13d ist hier nicht einschlägig: Dort verneinte der OGH, dass der dortige Revisionswerber die erkennbare „Erwartung des (ewigen?) Fortbestehens der Lebensgemeinschaft” aufzeigen konnte. Tragende Begründung dieser Entscheidung war aber, dass die Lebensgemeinschaft nach der Zuwendung noch „rund 13 Jahre lang“ fortbestand, während hier die Lebensgemeinschaft schon rund ein dreiviertel Jahr nach den Zuwendungen der Klägerin endete. Der Sachverhalt dieser Entscheidung ist daher nicht mit der vorliegenden vergleichbar (ähnlich auch 4 Ob 152/16f). Gleiches gilt für die Entscheidung 6 Ob 44/02t. (…)
5.1. Der Geschäftszweck fällt aber nur bezüglich eines die Auflösung überdauernden Nutzens weg. Werden die zur gemeinsamen Verwendung angeschafften Sachen von den Lebensgefährten zunächst gemeinsam genutzt und fällt der Geschäftszweck erst später weg, kann nur der dem Leistungsempfänger verbleibende Restnutzen zurückgefordert werden (9 Ob 17/18t; 8 Ob 12/22f; RS0033921; RS0009341; a.M. möglicherweise 4 Ob 197/18a). Dabei handelt es sich um eine vom sonstigen Bereicherungsrecht abweichende Besonderheit der condictio causa data causa non secuta im Zusammenhang mit der Abwicklung beendeter Lebensgemeinschaften ausgehend von der Annahme, dass bis dahin der Wertverlust der Leistung durch die (teilweise) Zweckerreichung ausgeglichen wurde (Linder in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht2 § 1435 ABGB Rz 36). Wohnte daher etwa der die Leistung erbracht habende Lebensgefährte einige Jahre im Haus der Lebensgefährtin, so ist dies bei der Ermittlung der Höhe des Rückforderungsanspruchs zu berücksichtigen (6 Ob 135/99t; 9 Ob 17/18t; vgl. RS0033921 [T1, T8]).
5.2. Da die Frage des dem Beklagten verbleibenden Restnutzens bislang im Verfahren unerörtert blieb, ist die Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen im Umfang des nicht rechtskräftig erledigten Teils der Klageforderung unumgänglich. Dabei wird schon an dieser Stelle zu der vom Beklagten eingewendeten Gegenforderung hingewiesen, dass die von ihm behauptete Zusage der Klägerin, sich an den Wohnkosten zu beteiligen, nicht feststeht und das Wohnen der Klägerin im Haus des Beklagten ohnehin bei der Bemessung des Restnutzens zu berücksichtigen ist. (…)
OGH 28.8.2024, 7 Ob 72/24z
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