NEUE JUDIKATUR ZUM FAMILIENRECHT & WEITERE NEWS

Der Blog umfasst aktuelle Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Arbeit im Familienrecht und nützliche Informationen.
Bei den wiedergegebenen OGH-Entscheidungen handelt es sich um wörtliche Zitate (teilweise ohne Belegstellen).

Keine hauptsächliche Betreuung wegen Verweigerung der schulischen Ausbildung der Kinder

17. September 2024|

In der Gerichtspraxis nimmt die Zahl der Fälle zu, in denen Elternteile ihren Kindern aus ideologischen Motiven oder religiösen Gründen die Absolvierung einer Schule verwehren. Dabei ist die Rechtslage völlig klar: Wenn Eltern die schulische Ausbildung der Kinder verhindern, verletzen sie deren Recht auf Bildung nach Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK und gefährden in diesem Bereich das Kindeswohl. Gegenstand einer OGH-Entscheidung vom Juli 2024 war die Festlegung der hauptsächlichen Betreuung der Kinder im Rahmen einer Obsorge beider Eltern. Die ablehnende Haltung der Mutter gegenüber einem Schulbesuch der Kinder war der wesentliche Grund für die Bestimmung des Vaters zum Domizilelternteil.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, mit der ausgesprochen wurde, dass die Obsorge für die Kinder weiterhin bei beiden Eltern verbleibt und der hauptsächliche Aufenthalt beim Vater festgelegt wird.

Der OGH wies den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück.

Aus der OGH-Entscheidung:

1.1 Gemäß 177 Abs. 4 ABGB haben die Eltern, wenn sie – wie hier – beide mit der Obsorge betraut sind, aber nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, festzulegen, bei welchem Elternteil sich das Kind hauptsächlich aufhalten soll (vgl. 6 Ob 8/19y). Besteht keine derartige Vereinbarung und stellt ein Elternteil einen darauf gerichteten Antrag, so ist der hauptsächliche Aufenthalt vom Pflegschaftsgericht festzulegen. Maßstab für die Entscheidung über die Obsorge und dementsprechend auch für die Frage, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird, ist das Kindeswohl (§ 180 Abs. 2 ABGB). Entscheidend ist, auf welche Weise die Interessen des Kindes am Besten gewahrt werden können (vgl. RS0130247; 10 Ob 8/19b; vgl. auch RS0047928 [T2 und T17]; 5 Ob 106/20d).

1.2 Die Mutter lehnt es aus religiösen Gründen ab, dass die beiden Kinder eine öffentliche Schule oder eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht besuchen.

Gemäß § 5 Abs. 1 SchulpflichtG 1985 ist die allgemeine Schulpflicht durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen zu erfüllen. Nach § 11 Abs. 2 leg cit kann die Schulpflicht auch durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllt werden, sofern dieser jenem an einer in § 5 leg cit genannten Schule mindestens gleichwertig ist. Der zureichende Erfolg eines häuslichen Unterrichts ist gemäß § 11 Abs. 4 leg cit jährlich vor Schulschluss durch eine Externistenprüfung nachzuweisen. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat die Schulbehörde nach § 11 Abs. 6 leg cit anzuordnen, dass das Kind die Schulpflicht im Sinn des § 5 leg cit zu erfüllen hat (vgl. 2 Ob 136/18s).

Die Erfüllung der Schulpflicht und die Erbringung des Nachweises darüber sind für die Förderung der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes und die Wahrung des Kindeswohls essentiell (vgl. § 138 Z 4 ABGB; 2 Ob 136/18s). Einer nachhaltigen Verletzung der Schulpflicht und/oder der Nachweispflicht kommt bei Abwägung der Interessen der Eltern, ihre Erziehungsmethoden entsprechend ihrer Weltanschauung zu wählen, einerseits und dem Recht des Kindes auf eine ordentliche Ausbildung (vgl. Art 2 des 1. EMRK-Zusatzprotokolls) andererseits besonderes Gewicht zu (vgl. 6 Ob 45/23w).

1.3 Ausgehend von den bindenden Feststellungen, wonach die Mutter die Eingliederung der Kinder in den Regelunterricht beharrlich verweigert und behördliche Anordnungen zum Schulbesuch der Kinder missachtet, wodurch die Kinder bereits einige Schuljahre versäumt haben, begründet die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die schulische Förderung und das Fortkommen der Kinder durch den Vater besser wahrgenommen werden kann, keine vom OGH aufzugreifende Fehlbeurteilung.

1.4 Die von der Mutter geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angeführten gesetzlichen Bestimmungen über die Schulpflicht und die Externistenprüfung werden vom OGH Gerichtshof nicht geteilt und bieten keinen Anlass für eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof (vgl. VfGH 10.3.2015, E 1993/2014; 6.3.2019, G 377/2018; 29.11.2022, E 2766/2022; vgl. auch 6 Ob 45/23w). (…)

OGH 3.7.2024, 3 Ob 93/24h

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