
NEUE JUDIKATUR ZUM FAMILIENRECHT & WEITERE NEWS
Der Blog umfasst aktuelle Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Arbeit im Familienrecht und nützliche Informationen.
Bei den wiedergegebenen OGH-Entscheidungen handelt es sich um wörtliche Zitate (teilweise ohne Belegstellen).
Obsorgeentziehung vor Absolvierung einer Erziehungsberatung oder erst danach?
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Entziehung der Obsorge wegen des damit regelmäßig verbundenen Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK nur als „äußerste Notmaßnahme“ bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe unter Heranziehung eines strengen Maßstabs gerechtfertigt. Dies bedeutet freilich nicht, dass einem Eingriff in die Obsorge stets die verfahrensrechtliche Verpflichtung zur Erziehungsberatung nach § 107 Abs. 3 Z 1 AußStrG vorangehen müsste.
Aus der OGH-Entscheidung:
1. Der Entscheidung über die Übertragung der Obsorge kommt im Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs. 1 AußStrGzu, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen und keine leitenden Rechtsprechungsgrundsätze verletzt wurden.
2. Den Vorinstanzen ist keine solche Fehlbeurteilung unterlaufen, die vom OGH aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste.
Es ist richtig, dass die Entziehung der Obsorge unter Anlegung eines strengen Maßstabs nur das letzte Mittel sein und nur angeordnet werden darf, wenn sie zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist (RS0048712 [T3]; RS0047841 [T21]; RS0047903 [T9]; RS0048699; RS0085168). Ganz allgemein gelten für die Maßnahme des Gerichts nach § 181 ABGB die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit im Sinn des gelindesten Mittels (§ 182 ABGB; RS0047903 [T9]). Ob solche gelindere Mittel ausreichen, ist eine Frage des Einzelfalls.
Die Rechtsmittelwerberin meint, die Vorinstanzen wären verpflichtet gewesen, vor dem letzten Mittel der Entziehung der Obsorge eine Erziehungsberatung und deren Beobachtung anzuordnen. Das Rekursgericht vertrat demgegenüber unter Berufung auf den vom Erstgericht festgestellten Verlauf die Auffassung, mit einer (weiteren) Erziehungsberatung allein könne der festgestellten Kindeswohlgefährdung nicht begegnet werden. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden, steht doch fest, dass die der Mutter bereits zuteil gewordene Unterstützung und Anleitung durch verschiedene, in den Bereichen Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Psychologie tätige Einrichtungen zu keiner signifikanten Verbesserung der Situation geführt haben. Damit bleibt die Obsorgeentziehung derzeit die einzige Möglichkeit zur Wahrung des Kindeswohls.
OGH 8.11.2022, 5 Ob 191/22g
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