Die Entscheidungen des OGH zum Ruhen des nachehelichen Unterhaltsanspruchs infolge einer Lebensgemeinschaft des unterhaltsberechtigten Ehepartners nach der Scheidung sind zahlreich, die Kritik daran ist in der Literatur fast einhellig. Sie resultiert vor allem aus dem Umstand, dass die Judikatur beim Scheidungsunterhalt – anders als beim Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder – nicht auf die Bedarfsdeckung und somit nicht darauf abstellt, ob dem geschiedenen Ehepartner aus der Lebensgemeinschaft Unterhaltsleistungen zukommen oder nicht. Da das Gesetz keine allgemein gültige Definition einer Lebensgemeinschaft enthält, steht weiterhin die Frage, ob im jeweiligen Einzelfall eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliegt, im Mittelpunkt der einschlägigen OGH-Entscheidungen. Zuletzt sah der OGH im Februar 2024 die Voraussetzungen für das Ruhen des Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Ehefrau im Anlassfall als erfüllt an.
Aus der OGH-Entscheidung:
2.1. Nach ständiger Rechtsprechung ruht der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten für die Dauer seiner Lebensgemeinschaft unabhängig davon, ob er von seinem Partner Unterhaltsleistungen bezieht (RS0047108; RS0047130).
2.2. Diese Rechtsprechung wird von der Literatur praktisch einhellig abgelehnt (vgl. nur die Übersicht bei Stabentheiner/T. Maier in Rummel/Lukas, ABGB4 § 75 EheG Rz 3; 1 Ob 56/14p).
2.3. Die Klägerin tritt der dargestellten Rechtsprechung zum Ruhen des Unterhaltsanspruchs allerdings nicht entgegen, sondern greift die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ausschließlich mit der Begründung an, dieses habe zu Unrecht das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft bejaht. Im Zusammenhang mit der in der Literatur geäußerten Kritik an der Rechtsprechung zum Ruhen des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten wird in der Revision daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs. 1 ZPO ausgeführt. (…)
3.3. Unter einer Lebensgemeinschaft wird ein jederzeit lösbares familienrechtsähnliches Verhältnis verstanden, das der Ehe nachgebildet, aber von geringerer Festigkeit ist (RS0021733 [T5]). Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spielt neben Eheähnlichkeit auch eine gewisse Dauer, auf die sie eingerichtet ist, und das Zusammenspiel der Elemente Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft eine Rolle, wobei anerkannt ist, dass im Sinn eines beweglichen Systems nicht stets alle drei Merkmale vorhanden sein müssen (RS0047000; RS0047017; RS0133866).
Eine Wohngemeinschaft liegt grundsätzlich vor, wenn die Lebensgefährten tatsächlich in einer Wohnung leben, die ihr dauernder gemeinsamer Lebensmittelpunkt sein soll; sie muss über die bloßen „Nebenerscheinungen“ der Geschlechtsgemeinschaft hinausgehen. Durch fallweises gemeinsames Übernachten in unregelmäßigen Abständen wird sie daher nicht begründet; allerdings indiziert die fehlende Wohngemeinschaft allein noch nicht zwingend, dass keine Lebensgemeinschaft vorliegt, weil auch in einer Ehe, bei der die Ehegatten nach § 91 ABGB ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich gestalten sollen, einvernehmlich getrenntes Wohnen als zulässig betrachtet wird (3 Ob 35/20y EF-Z 2020/106 [Gitschthaler] = iFamZ 2020/141 [Deixler-Hübner]).
Der Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft beinhaltet eine materielle und eine immaterielle (zwischenmenschliche) Komponente. Für das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft kommt es darauf an, ob die Partner Freud und Leid miteinander teilen, einander Beistand und Dienste leisten und einander an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und der Erholung dienenden gemeinsamen Gütern teilnehmen lassen (RS0047035; jüngst 3 Ob 180/23a). Dabei dürfen die materiellen Aspekte nicht völlig vernachlässigt werden, weil sonst ein Zustand, wie er für das Zusammenleben von Ehegatten typisch ist, nicht mehr angenommen werden darf und die wirtschaftliche Bedeutung der Ehe für die Gatten nicht mehr ausreichend bedacht würde; ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Gemeinschaft ist daher unverzichtbar (3 Ob 35/20y EF-Z 2020/106 [Gitschthaler] = iFamZ 2020/141 [Deixler-Hübner]; RS0047035 [T4]; RS0047130 [T5]).
3.4. Das Berufungsgericht bejahte sowohl das Vorliegen einer Wohn- als auch einer Wirtschaftsgemeinschaft. Dass zwischen der Klägerin und dem vom Beklagten als ihr Lebensgefährte bezeichneten Mann eine Geschlechtsgemeinschaft besteht, bestreitet die Klägerin nicht. Dies ist darüber hinaus durch den Umstand, dass die Klägerin mit diesem Mann drei gemeinsame Kinder hat, von denen die beiden jüngeren während des vorliegenden Verfahrens zur Welt kamen, dokumentiert.
3.5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die fast tägliche Anwesenheit des Mannes auf der von der Klägerin und ihren (auch den älteren, aus der Ehe mit dem Beklagten stammenden) Kindern bewohnten Liegenschaft samt den festgestellten Übernachtungen die Annahme eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts rechtfertige, auch wenn der Mann ein eigenes, deutlich kleineres Wohnhaus erworben hat, bewegt sich innerhalb des den Vorinstanzen eingeräumten Beurteilungsspielraums.
Auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Wirtschaftsgemeinschaft wendete das Berufungsgericht die von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien in vertretbarer Weise auf den vorliegenden Einzelfall an. Es liegt innerhalb des dem Berufungsgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums, in der Durchführung der auf der sehr großen Liegenschaft anfallenden schweren Arbeiten, für die er die notwendigen Gerätschaften zur Verfügung stellt, einen auch wirtschaftlich relevanten Beitrag des Mannes zur Haushaltsführung zu sehen. Dazu kommt, dass er nicht bloß bei anfallenden notwendigen Arbeiten half, sondern etwa auch bei der Errichtung eines Kinderspielplatzes auf der Liegenschaft. Der behauptete Widerspruch zur Entscheidung 3 Ob 35/20y liegt nicht vor, weil sich der vorliegende Lebenssachverhalt insgesamt von dem dort beurteilten Fall, in dem im Zuge bloßer Wochenendbesuche einzelne Arbeiten verrichtet wurden, unterscheidet. (…)
3.7. Da eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs. 1 ZPO nicht aufgezeigt wird, ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen. (…)
OGH 21.2.2024, 6 Ob 34/23b