Nach § 74 EheG kann die Verwirkung des Scheidungsunterhalts vor allem dann eintreten, wenn sich der unterhaltsberechtigte Ehepartner nach der Ehescheidung eine schwere Verfehlung gegen den unterhaltsverpflichteten Ehepartner zuschulden kommen lässt. Eine solche Verfehlung muss gravierender sein als ein Fehlverhalten im Sinn des § 49 EheG. Für die Abwägung kommt es darauf an, auf welcher Gesinnung die jeweilige Vorgehensweise beruht und wie sie sich auf die Interessensphäre des unterhaltspflichtigen Teils auswirkt. In einer aktuellen Entscheidung hatte der OGH wieder einmal zu beurteilen, ob strafrechtlich relevante Anschuldigungen der Frau gegen den Mann nach der Scheidung ihrer Ehe zur Unterhaltsverwirkung führen.

Aus der OGH-Entscheidung:

(…) 2.1. Gemäß § 74 erster Fall EheG verwirkt der Berechtigte den Unterhaltsanspruch nach Ehescheidung, wenn er sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Verpflichteten schuldig macht. Die Unterhaltsverwirkung nach dieser Bestimmung setzt unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände eine besonders schwerwiegende, das Maß schwerer Eheverfehlungen im Sinn des § 49 EheG übersteigende Verfehlung gegen den früheren Ehegatten voraus, sodass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung für alle Zukunft nicht mehr zumutbar ist (vgl. RS0078153).

2.2. Die Erstattung einer Anzeige durch den Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten kann zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 74 EheG führen, wenn sie nicht in Wahrung berechtigter eigener Interessen, sondern im vollen Bewusstsein, die Interessen des Verpflichteten zu beeinträchtigen, erstattet wird (vgl. RS0057429). Nicht schon objektiv unrichtige, sondern nur bewusst wahrheitswidrige Anschuldigungen können zur Unterhaltsverwirkung führen (RS0078153 [T8]). Objektiv unzutreffende Beschuldigungen sind nur dann rechtswidrig, wenn entweder damit der Rahmen des sachdienlichen (notwendigen) Vorbringens überschritten wird oder die Anschuldigungen wider besseres Wissen geäußert wurden (vgl. RS0093379).

3. Von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen, indem sie die vom Kläger geltend gemachte Unterhaltsverwirkung verneinten:

3.1. In ihrer Sachverhaltsdarstellung vom 12.9.2017 an die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Betrugs und der betrügerischen Krida führte die Beklagte insbesondere aus, der Kläger, der ihr seit dem Jahr 2011 keinerlei Unterhalt mehr leistet, habe u.a. ein Grundstück in Rumänien verschwiegen. Nach den Feststellungen ist der Kläger tatsächlich bücherlicher Hälfteeigentümer eines Grundstücks in Rumänien; dass er diesen Liegenschaftsanteil mittlerweile aufgrund einer (mündlichen) Vereinbarung „außerbücherlich“ an seine Schwiegermutter übertragen hat, weil er ein ihm von dieser gewährtes Privatdarlehen nicht mehr bedienen konnte, kann daran nichts ändern.

3.2. Ihre im Anschluss an diese Sachverhaltsdarstellung abgelegte Zeugenaussage vom 11.1.2018, wonach der Kläger ein in ihrem „außerbücherlichen“ Eigentum stehendes Grundstück in Kroatien ohne ihr Wissen um 70.000 € verkauft habe, hat die Beklagte nicht wider besseres Wissen, sondern im Vertrauen auf die Richtigkeit ihr zugetragener Informationen getätigt. Da die Beklagte niemals in das kroatische Grundbuch eingetragen wurde, kann keine Rede davon sein, dass dem Kläger ein Verkauf der Liegenschaft ohne ihre Mitwirkung gar nicht möglich gewesen wäre.

3.3. Der maßgebliche Inhalt der von ihr am 8.4.2019 – im Zusammenhang mit einer Strafanzeige des Stiefbruders des Klägers gegen diesen – unterfertigten „eidesstaatlichen Versicherung“, nämlich dass der Kläger im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens ausgeführt habe, der von seiner Ehegattin gehaltene Pkw der Marke BMW sei von seiner Mutter finanziert worden, entsprach den Tatsachen.

3.4. Dass die Beklagte den Stiefbruder des Klägers bei dessen Rechtsverfolgung gegen diesen dadurch unterstützte, dass sie ihm sämtliche Verhandlungsprotokolle der von ihr mit dem Kläger geführten Gerichtsverfahren zukommen ließ, hatte seine Ursache darin, dass im Gegenzug der Stiefbruder des Klägers die Beklagte bei ihren (bislang vergeblichen) Versuchen unterstützte, ihren titulierten Unterhaltsanspruch einbringlich zu machen.

4. Die Verneinung der Unterhaltsverwirkung durch die Vorinstanzen hält sich demnach im Rahmen der maßgeblichen Judikaturgrundsätze.

OGH 20.7.2022, 3 Ob 114/22v