Die studierende Tochter lebt zunächst in einer Wohngemeinschaft und dann mit ihrem Freund im Haus ihrer Eltern in einem eigenen Wohnbereich. Für die Benützung dieser Wohneinheit leistet sie – wie auch ihr Freund – einen Beitrag zu den Betriebskosten. Als die Tochter einen Unterhaltsrückstand gerichtlich geltend macht, wendet ihre Mutter ein, dass die Unterhaltsleistungen beider Eltern von ihnen gemeinsam erbracht worden seien, sodass eine Überzahlung durch den Vater den Unterhaltsanspruch der Tochter gegenüber der Mutter vermindere. Sind Unterhaltsleistungen eines Elternteils, der mit dem anderen unterhaltspflichtigen Elternteil zusammenlebt, diesem zuzurechnen?

Aus der OGH-Entscheidung:

Die volljährige Tochter wurde im Zeitraum von Oktober 2015 bis Ende 2018 von keinem Elternteil betreut und lebte außerhalb des elterlichen Wohnbereichs (sogenannte „Eigenpflege“). In diesem Fall sind die Eltern verpflichtet, den Gesamtunterhaltsbedarf der Tochter im Verhältnis ihrer Einkommen zu decken (6 Ob 89/17gmwN). Bei der „Eigenpflege“ des Kindes entspricht dessen Gesamtunterhaltsbedarf bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen in etwa dem doppelten Regelbedarfssatz, der bei über- oder unterdurchschnittlichen (finanziellen) Lebensverhältnissen durch entsprechende Zu- oder Abschläge zu korrigieren ist.

Dieser (rechnerische) Gesamtunterhaltsbedarf des unterhaltspflichtigen Kindes ist um sein Eigeneinkommen zu verringern. Zur Ermittlung des (anteiligen) Geldunterhaltsanspruchs gegenüber dem jeweiligen Elternteil ist von den Bemessungsgrundlagen (Nettoeinkommen) beider unterhaltspflichtigen Elternteile nach der sogenannten Vorabzugsmethode zuerst jeweils das Unterhaltsexistenzminimum abzuziehen (6 Ob 89/17gmwN). Nach dem Verhältnis der so reduzierten Bemessungsgrundlagen ist der Gesamtunterhaltsanspruch des Kindes zu befriedigen (vgl. nur 10 Ob 2/08dmit Literaturnachweisen). In keinem Fall darf der Unterhalt höher festgesetzt werden als es der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach der Prozentwertmethode entspricht; allfälliges Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes ist bei dieser Kontrollrechnung nicht abzuziehen.

Regelmäßige – auf Freiwilligkeit beruhende – Sach- oder Geldleistungen eines Dritten können unter Umständen zum Erlöschen der Unterhaltspflicht führen. Dies setzt voraus, dass der Dritte mit seiner Leistung die Absicht verfolgt, ganz oder auch nur teilweise die Unterhaltspflicht des Schuldners zu erfüllen, sei es um von ihm Ersatz zu erlangen oder in dessen Erwartung (RIS-Justiz RS0020019), sei es als Schenkung gegenüber dem Unterhaltspflichtigen. Mangels nachgewiesener – oder nach den Umständen anzunehmender – Absicht, den Unterhaltsschuldner zu entlasten, haben Leistungen Dritter keinen Einfluss auf die Unterhaltsverpflichtung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils.

Wenn nun von den in aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden unterhaltspflichtigen Eltern nur einer (regelmäßig) erkennbar über seiner eigenen Unterhaltsschuld liegende Beträge überweist, muss das der Unterhaltsberechtigte in der Regel so verstehen, dass damit auch die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils erfüllt werden soll. Dieses Verhalten entspricht dem eines maßgerechten Elternteils in einer intakten Familie, ohne dass es darauf ankommt, ob die Zahlungen von einem gemeinsamen Konto der Eltern oder dessen eigenem Konto erfolgen. In diesem Sinn sind Unterhaltsleistungen eines Elternteils, der mit dem anderen in aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft lebt, grundsätzlich auch dem anderen unterhaltspflichtigen Elternteil zuzurechnen. Die Zuwendung eines über die eigene Unterhaltsverpflichtung hinausgehenden Betrags an den Unterhaltsberechtigten im eigenen Namen erfolgt in diesem Fall regelmäßig (erkennbar) nicht in Erfüllung einer eigenen zusätzlichen (sittlichen) Verpflichtung, sondern in der Absicht, den anderen unterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten bzw. dessen Unterhaltsschuld zu erfüllen.

OGH 21.1.2020, 1 Ob 8/20p