Gemäß Art. 13 des Haager Kindesentführungsübereinkommens ist eine Rückführung des Kindes in den Herkunftsstaat nicht anzuordnen, wenn der mitobsorgeberechtigte Elternteil, der das Kind mitgenommen hat, nachweist, dass der andere Elternteil der (dauerhaften) Übersiedlung des Kindes ins Ausland zugestimmt hat. Die Zustimmung zum bloß zeitweisen Umzug des Kindes ist immer wieder Gegenstand von Verfahren nach dem HKÜ. Dabei ist der Inhalt einer solchen Zustimmungserklärung häufig strittig, aber die rechtliche Konsequenz klar: Nach Ablauf der vereinbarten Zeit wird das Zurückhalten des Kindes im Aufenthaltsstaat rechtswidrig, sodass das Kind in den Herkunftsstaat zurückzubringen ist.
Aus der OGH-Entscheidung:
Der Antragsteller stimmte zunächst einem Urlaubsaufenthalt der Minderjährigen bei ihren mütterlichen Großeltern in Österreich zu. Während die Antragsgegnerin mit der Minderjährigen bereits Ende Juni 2021 aus den USA anreiste, folgte der Antragsteller vereinbarungsgemäß Anfang August 2021 nach. Die gemeinsame Heimreise war für Mitte August 2021 geplant. Während ihres Aufenthalts in Österreich entschloss sich die Antragsgegnerin, mit der Minderjährigen nicht mehr in die USA zurückzukehren, sondern dauerhaft in Österreich zu bleiben, und beantragte Ende August 2021 beim österreichischen Pflegschaftsgericht die alleinige Obsorge für die Minderjährige und die Festsetzung des Hauptbetreuungsorts bei der Antragsgegnerin.
Das Rekursgericht bestätigte die Rückführungsanordnung des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass die Rückführung der Minderjährigen in das Staatsgebiet der USA angeordnet wurde.
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs. 1 AußStrG auf:
1.1 Nach gefestigter Rechtsprechung wird die Zustimmungsvoraussetzung des Art. 13 Abs. 1 lit a HKÜ nur durch eine Zustimmung zu einer dauerhaften Aufenthaltsänderung durch den (Mit-)Obsorgeberechtigten erfüllt, die sich unmittelbar aus einer Erklärung oder aus den Gesamtumständen ergeben kann (6 Ob 130/20s; RS0123748). Die Zustimmung im Sinn des Art. 13 Abs. 1 lit a HKÜ kann grundsätzlich auch formfrei erklärt werden oder durch konkludentes Verhalten erfolgen (6 Ob 75/21d). Ob sich die Zustimmung unmittelbar aus den Umständen ergibt, kann nur nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden (6 Ob 75/21d; RS0123748 [T1]). (…)
1.2 Nach den Feststellungen erklärte die Antragsgegnerin dem Antragsteller bereits kurz nach dessen Ankunft in Österreich, dass sie mit der Minderjährigen wegen der schlechten Corona-Situation in den USA länger in Österreich bleiben wolle und sie einen von den Therapeuten des Kindes empfohlenen Kindergartenbesuch in den USA nicht erlauben werde. Sie erklärte dem Antragsteller auch, dass es im Oktober oder November 2021 (in Österreich) eine „Corona-Impfung“ für Kinder geben werde. Da der Antragsteller mit einer Verlängerung des Österreichaufenthalts nicht einverstanden war, kam es wiederholt zu Diskussionen zwischen den Eltern. Im Zuge einer solchen unterfertigte der Antragsteller ein von der Antragsgegnerin verfasstes Schreiben, wonach er den Besuch des Kindergartens in Österreich erlaube, und ein weiteres solches Schreiben, wonach die Antragsgegnerin und die Minderjährige wieder in die USA kommen würden, nachdem eine Kinderimpfung vorhanden sei. Er unterschrieb entgegen seiner Überzeugung, weil er keine Möglichkeit sah, dass er die Minderjährige vereinbarungsgemäß in die USA mitnehmen könne, und es ihm wichtig war, dass sie in den Kindergarten komme. Vor seinem (alleinigen) Rückflug in die USA Mitte August 2021 kam es neuerlich zu einem Streit, in dem der Antragsteller die Antragsgegnerin aufforderte, mit der Minderjährigen zurückzukommen. Letzteres tat er auch in der Folge in Telefonaten immer wieder.
1.3 Wenn die Vorinstanzen bei diesem Sachverhalt nicht von einer (schlüssigen) Zustimmung des Antragstellers zu einer dauerhaften Aufenthaltsänderung des Kindes nach Österreich ausgingen, liegt darin keine Fehlbeurteilung, die vom OGH im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste.
2.1 Es wurde bereits ausgesprochen, dass dann, wenn Kinder mit Zustimmung des anderen Sorgeberechtigten in einen anderen Staat als den des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts gebracht werden, ein rechtswidriges Zurückhalten im Sinn des Art. 3 HKÜ erst mit Ablauf der verabredeten Zeit eintritt (6 Ob 180/13h). Daraus ist für die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall aber schon deshalb nichts zu gewinnen, weil sie das von ihr selbst aufgesetzte und – nach Ansicht der Vorinstanzen unter Druck – vom Antragsteller im August 2021 unterfertigte Schreiben, wonach sie und die Minderjährige wieder in die USA kämen, nachdem eine Kinderimpfung vorhanden sei, nicht so auffassen durfte (vgl. 1 Ob 256/09t), dass der Antragsteller damit einer Verlängerung des Österreichaufenthalts über den von ihr selbst genannten (spätesten) Zeitpunkt für die Verfügbarkeit der Kinderimpfung Ende November 2021 hinaus zustimme.
Bei Beschlussfassung des Erstgerichts war dieser Zeitpunkt bereits lange überschritten. Die Argumentation des Revisionsrekurses, das Zurückhalten sei mangels Ablaufs der vereinbarten Aufenthaltszeit nicht rechtswidrig, weil es nach wie vor keine Impfung gegen Covid-19 für Kinder unter fünf Jahre gebe, geht daher ins Leere. (…)
OGH 27.5.2022, 6 Ob 99/22k