Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die beiderseitige Obsorge der Eltern für ihr Kind auch bei getrennten Haushalten der Regelfall sein. Voraussetzung ist eine aus Kindeswohlsicht ausreichende Kommunikation zwischen den Eltern. Der OGH judiziert dazu seit Jahren den Grundsatz, dass eine sachliche Kommunikation per E-Mail oder SMS für eine Obsorge beider Eltern genügen kann, weil es nicht auf die Art der Nachrichtenmitteilung, sondern auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch ankommt. Die Judikatur ist (mittlerweile) völlig einhellig; dennoch tragen Eltern ohne Scheu vor dem Scheitern diese Rechtsfrage alle paar Monate an das Höchstgericht heran.
Aus der OGH-Entscheidung:
Bereits die Vorinstanzen haben darauf hingewiesen, dass die Obsorge beider Elternteile (eher) die Regel sein soll (RS0128811). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge durch beide Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Eltern voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entscheidungen zu treffen. Erforderlich ist daher, dass eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder zumindest in absehbarer Zeit hergestellt werden kann (RS0128812).
Ob eine ausreichende Kommunikationsbasis besteht, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0128812 [T15]). Inwieweit nach Art und Umfang der Kommunikation eine ausreichende Gesprächsbasis für eine gemeinsame Entscheidungsfindung anzunehmen ist, kann nicht verallgemeinert werden (vgl. etwa 7 Ob 217/18i). Auch eine sachliche Kommunikation der Eltern per E-Mail oder SMS kann bei ausreichender Kooperationsbereitschaft eine taugliche Basis für eine gemeinsame Obsorge begründen (9 Ob 51/16i mwN). Hier steht fest, dass es den Eltern im Wesentlichen möglich ist, sachlich zu kommunizieren, um zu einer für alle Seiten tragbaren Lösung zu gelangen, wobei sowohl Mutter als auch Vater in liebevoller Art um das Wohl ihres Sohnes bemüht sind. Wenngleich die Kommunikation der Eltern primär per SMS und E-Mail erfolgt, ist es im Einzelfall daher nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen von einer für die gemeinsame Obsorge ausreichend tragfähigen Gesprächsbasis ausgegangen sind. Dass es im Zuge des Austausches von Nachrichten fallweise zu wechselseitigen Vorhaltungen gekommen ist, haben die Vorinstanzen ohnedies berücksichtigt, sodass auch die von der Mutter zur Stützung ihres gegenteiligen Standpunkts angeführten Vorhalte des Vaters ihr gegenüber zu keiner anderen Beurteilung führen.
Dass einem mündigen Minderjährigendie Obsorge durch einen Elternteil möglichst nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden soll, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen und der Wunsch nicht gegen die offenbar erkennbaren Interessen des Kindes gerichtet ist, entspricht der herrschenden Rechtsprechung (RS0048820). Gegen diesen Grundsatz hat das Rekursgericht entgegen der Argumentation der Mutter auch nicht verstoßen. Zum einen ist der Wunsch des Kindes nicht allein ausschlaggebend (RS0048981; RS0048820 [T11]), zum anderen kann keine Rede davon sein, dass dem Sohn gegen seinen Willen eine Beteiligung des Vaters an der Obsorge aufgezwungen werden würde. In seiner Äußerung zur Entscheidung des Erstgerichts führte der Sohn lediglich aus, dass seiner Meinung nach die Obsorge der Mutter beibehalten werden könne, weil sich – zusammengefasst – für ihn nichts ändere. Damit mag er allenfalls zum Ausdruck bringen, dass er in einer gemeinsamen Obsorge der Eltern für sich keine Vorteile sieht; die von der Mutter ins Treffen geführte klare Ablehnung einer Mitbeteiligung des Vaters an der Obsorge lässt sich daraus nicht ableiten.
OGH 23.9.2020, 1 Ob 15/20t