Im Scheidungsvergleich aus dem Jahr 2018 verpflichtete sich der Mann zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts an die Frau. Nach Einleitung eines Exekutionsverfahrens war im Oppositionsprozess unstrittig, dass zwischen der Frau und ihrem neuen Partner im Zeitraum von Jänner 2020 bis September 2021 eine Lebensgemeinschaft bestand. Der unterhaltspflichtige Mann machte mit der Oppositionsklage geltend, dass ihm die Frau verschwiegen habe, bereits ab April 2019 eine Lebensgemeinschaft geführt zu haben. Dadurch habe sie ihre Mitteilungspflicht hinsichtlich wesentlicher Umstandsänderungen verletzt. Ihr Versuch, den Mann in Bereicherungsabsicht über das Bestehen einer unterhaltsrechtlich relevanten Partnerschaft zu täuschen, stelle eine strafbare Handlung und damit auch eine schwerwiegende Verfehlung im Sinn des § 74 EheG dar.

Aus der OGH-Entscheidung:

  1. Gemäß § 74 EheGverwirkt der Berechtigte den Unterhaltsanspruch, wenn er sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Verpflichteten schuldig macht oder gegen dessen Willen einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel führt. § 74 EheG findet auch auf gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen Anwendung, deren Höhe durch Vergleich bestimmt wurde.
  2. Eine schwere Verfehlung im Sinn des § 74 EheGmuss zwar gravierender sein als jene nach § 49 EheG, muss jedoch kein Verbrechen oder Vergehen im strafrechtlichen Sinn darstellen und nicht die Intensität eines Enterbungs- bzw. Erbunwürdigkeitsgrundes aufweisen. Es ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände zu prüfen, ob die Verfehlung so schwer wiegt, dass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung für alle Zukunft nicht mehr zumutbar ist (RS0078153), wobei es auf die der Verfehlung zugrunde liegende Gesinnung sowie auf die Auswirkungen auf die Interessensphäre des Unterhaltspflichtigen ankommt (vgl. RS0078153 [T5]).
  3. Im Führen einer Lebensgemeinschaft allein liegt nach ständiger Rechtsprechung noch kein ehrloser oder unsittlicher Lebenswandel, der die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gemäß § 74 EheGzur Folge hätte (RS0114056), doch ruht die Unterhaltsverpflichtung für die Dauer des Bestands einer Lebensgemeinschaft (vgl. RS0047108).
  4. Existiert bereits ein Unterhaltstitel, ist der Unterhaltsberechtigte zwar im Allgemeinen dazu verpflichtet, dem Unterhaltspflichtigen wesentliche Änderungen, die den Unterhaltsanspruch dem Grunde oder der Höhe nach betreffen, aus Eigenem mitzuteilen (4 Ob 15/19p = RS0122058 [T3]). Allerdings reicht selbst die mit bedingtem Schädigungsvorsatz erfolgte Inanspruchnahme eines nach der Rechtsprechung wegen einer Lebensgemeinschaft ruhenden Unterhalts nach der Rechtsprechung für sich allein für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nicht aus (3 Ob 209/99b; 3 Ob 241/13g; 4 Ob 15/19p). In der Entscheidung 1 Ob 26/19h wurde die Unterhaltsverwirkung auf Basis des Sachverhalts bejaht, dass sich die Unterhaltsberechtigte den Weiterbezug des Unterhalts durch Verschleierungshandlungen und unrichtige Angaben, also durch ein aktives Verhalten, erschlichen hatte.
  5. Dass die Beklagte den Kläger bis einschließlich Dezember 2019 nicht selbst über das Eingehen der Lebensgemeinschaft informiert hat, konnte deshalb für sich allein nicht zur Unterhaltsverwirkung führen; im Übrigen hat die Beklagte ihre Beziehung auch gegenüber den gemeinsamen Kindern der Streitteile nicht verschleiert und war der Kläger durch die gemeinsame Tochter ohnehin bereits im April 2019 darüber informiert worden, dass die Beklagte eine neue Beziehung eingegangen war.
  6. Aber auch das vom Kläger in seiner Klage in den Vordergrund gestellte Schreiben der Beklagten vom 31.1.2020 führte nicht zur Unterhaltsverwirkung. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass der Kläger die Unterhaltszahlungen an die Beklagte – von dieser unbeanstandet – bereits mit Ende Dezember 2019 eingestellt hatte. Thema des besagten Schreibens waren demnach nicht künftige Unterhaltszahlungen, sondern konkret die vom Kläger für die Zeit 7/2019 bis 12/2019 begehrte Rückzahlung von 3.900 € an Unterhalt. Dass die Beklagte in diesem Schreiben abstritt, sich seit Juni 2019 in einer Lebensgemeinschaft zu befinden, diente demgemäß nicht dazu, weitere Unterhaltszahlungen für die Zukunft zu erschleichen. Vielmehr bestritt die Beklagte damit im Ergebnis lediglich die – im von ihr beantworteten Anwaltsschreiben erhobene – Forderung des Klägers auf Rückzahlung der geleisteten Unterhaltsbeiträge für den Zeitraum Juli bis Dezember 2019.
  7. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass entgegen der Ansicht der Vorinstanzen die vom Kläger behauptete Unterhaltsverwirkung zu verneinen ist.
  8. Hilfsweise hat der Kläger sein Begehren auf eine Aufrechnung mit seinem (schadenersatz- bzw. bereicherungsrechtlichen) Anspruch auf Rückzahlung der von ihm in Unkenntnis des Ruhens des Unterhaltsanspruchs der Beklagten geleisteten Unterhaltszahlungen an die Beklagte gestützt. (…)
  9. Nach der Rechtsprechung des OGH kann ein ohne Rechtsgrundlage gezahlter Unterhalt nur dann mangels echter Bereicherung nicht zurückgefordert werden, wenn er gutgläubig verbraucht wurde (1 Ob 35/00dm.w.N.). Der Empfänger von Unterhalt ist dann schlechtgläubig, wenn er bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt an der Rechtmäßigkeit des empfangenen Betrags Zweifel hätte haben müssen; die Unredlichkeit bezieht sich auf die Existenz des Kondiktionsanspruchs (RS0103057). Die Redlichkeit fehlt nicht erst bei auffallender Sorglosigkeit oder gar bei Vorsatz, sondern schon dann, wenn der Empfänger der Leistung zwar nicht nach seinem subjektiven Wissen, wohl aber bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit der ihm rechtsgrundlos ausgezahlten Beträge auch nur zweifeln hätte müssen (vgl. RS0103057 [T4]). So wird Unredlichkeit des Unterhaltsberechtigten insbesondere im Fall der Entgegennahme von Unterhaltsleistungen trotz Ruhens des Anspruchs aufgrund Eingehens einer Lebensgemeinschaft durch den geschiedenen Ehegatten angenommen (3 Ob 209/99b; 3 Ob 139/13g).
  10. Darüber hinaus hat der Unterhaltspflichtige einen Schadenersatzanspruch, wenn der Unterhaltsberechtigte trotz bestehender Lebensgemeinschaft Unterhaltszahlungen entgegennimmt, weil Letzterer die hiedurch bewirkte Schädigung des Unterhaltspflichtigen zumindest billigend in Kauf nimmt, also mit bedingtem Vorsatz handelt (vgl. 4 Ob 204/02g = RS0047108 [T11]). Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens ist nämlich davon auszugehen, dass einer Unterhaltsberechtigten bewusst ist, dass sie im Fall des Ruhens ihres Unterhaltsanspruchs zu Unrecht weiterhin Unterhaltszahlungen entgegennimmt, und dass sie die hiedurch bewirkte Schädigung des Klägers zumindest in Kauf nimmt (vgl. 3 Ob 227/13y = RS0114056 [T1]).
  11. Da der Unterhalt monatlich im Vorhinein zu bezahlen ist, ist er auch für den Monat, in dem die Lebensgemeinschaft begründet wurde, noch zu leisten (vgl. RS0001011).
  12. Entgegen der vom Erstgericht vertretenen Auffassung ist auf Basis der getroffenen Feststellungen erst mit August 2019 vom Bestehen einer Lebensgemeinschaft auszugehen. Folglich hat die Beklagte (nur) die Unterhaltsbeiträge für die Monate September bis Dezember 2019, also im Ausmaß von 2.600 € (4 x 650 €) zu Unrecht bezogen; sie hat gar nicht behauptet, dass sie diese Unterhaltsbeiträge gutgläubig verbraucht habe. Durch die Aufrechnungserklärung des Klägers ist somit der betriebene Unterhaltsrückstand (nur) im Ausmaß von 2.600 € erloschen.
  13. Die angefochtenen Urteile sind daher im Sinn einer bloß teilweisen Klagestattgebung abzuändern. (…)

OGH 19.4.2023, 3 Ob 65/23i