Sehr geehrte Damen und Herren,

seit Jahresbeginn kamen aus der Regierung beispiellose Attacken gegen die Justiz und das Parlament. Regierungsmitglieder und ihre Vertrauten betrachten beide Institutionen unverhohlen mit geringem Respekt und veröffentlichten immer neue Ankündigungen, die Ermittlungen der Justiz gegen Machthaber und die parlamentarische Kontrolle einschränken zu wollen. Herabsetzende Äußerungen und Unterstellungen gegen ermittelnde Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und die Missachtung von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes resultieren aus der gleichen Haltung in verschiedenen Anwendungsbereichen. Dabei ist ein wechselseitiger Respekt der staatlichen Institutionen für den Rechtsstaat besonders bedeutungsvoll. „Parteipolitisch motivierte Attacken gegen ermittelnde Staatsanwälte sind ein Angriff auf den Rechtsstaat“, lautete daher auch der Titel eines Beitrags der früheren OGH-Präsidentin Griss in der Kleinen Zeitung vom 4. Juni 2021.

Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos zur Aufarbeitung der „mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“ (so lautete der Titel) eingesetzt wurde und dessen Fortführung über den 15. Juli hinaus die Regierung mit Mehrheitsbeschluss verhinderte, versuchtenKanzler Kurz, Finanzminister Blümel und Nationalratspräsident Sobotka – jeder auf seine Art – die Aufklärungsarbeit zu behindern. Als der Untersuchungsausschuss dennoch politische Abgründe phasenweise im Tagesrhythmus aufzeigte und zu Ermittlungsverfahren gegen den Kanzler, seinen Kabinettchef, den Finanzminister und viele weitere Mächtige, zu Rücktritten des Chefs der Österreichischen Beteiligungsagentur und eines Verfassungsrichters, zur Suspendierung eines Sektionschefs im BMJ und zu einer Änderung der Dienstaufsicht über die WKStA führte, begann die Kanzlerpartei ihre Ideen zur Schmälerung der Kontrollrechte des Parlaments zu verbreiten. NR-Präsident Sobotka wollte angesichts der Ermittlungen gegen Kanzler Kurz wegen des Verdachts einer Falschaussage im Untersuchungsausschuss Zeugen von der Wahrheitspflicht befreien und Fragen an sie nur noch in schriftlicher Form zulassen, der ÖVP-Fraktionsführer Hanger forderte mit verhaltensorigineller Ernsthaftigkeit eine Wahrheitspflicht für Fragesteller.

Angesichts der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses und des Umgangs der Regierung mit den Fällen von gravierendem Korruptionsverdacht sowie im Hinblick auf die heftigen Angriffe auf den Rechtsstaat initiierten 12 Proponentinnen und Proponenten das Volksbegehren für Rechtsstaatlichkeit und Antikorruption. 72 Vorschläge für mehr Anstand, Integrität und Transparenz, für eine Stärkung des Parlaments als Gesetzgeber und Kontrollorgan, für die Unabhängigkeit von Justiz und Medien und für strengere Regeln zur Verhinderung von Korruption und parteipolitischen Eingriffen in Ermittlungs- und Kontrolltätigkeiten staatlicher Institutionen. 72 Ansatzpunkte, die Österreich zu einem Land mit einer Justiz ohne politische Einflussnahmen, Untersuchungsausschüssen ohne Befangenheiten oder Interessenkonflikten in der Vorsitzführung, einer Medienförderung ohne parteipolitische Abhängigkeiten und sehr viel weniger Korruption und Machtmissbrauch machen können. Zu einem Land, in dem sich politische Mandatsträger zu einem Handeln gemäß dem Gemeinwohl verpflichten und nicht erst das Strafrecht die Grenze legitimen Agierens in der Politik bildet.

Wir haben Mitte Juli im Rahmen unserer Reihe ZiFF Spezial einen Beitrag veröffentlicht, den Oliver Scheiber, Richter, Publizist und Lehrbeauftragter an der Universität Wien, für ZiFF zur Situation der Justiz und des Parlaments in einer Zeit massiver Attacken aus einer Regierungspartei, zu den konkreten Beweggründen für das Volksbegehren und zu dessen Inhalten verfasst hat. Sie finden diese so wichtigen Ausführungen nunmehr auch im Anschluss an diesen Text.

Bleiben Sie gesund und zuversichtlich!

Mit herzlichen Grüßen
Susanne Beck
Leiterin Z!FF

Oliver Scheibers Beitrag können Sie hier herunterladen.