Gemäß § 17 EheG wird die Ehe vor einem Standesamt durch die Erklärungen der persönlich und gleichzeitig anwesenden Ehepartner, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, geschlossen. Nach österreichischem Recht kommt eine Stellvertretung bei der Eheschließung daher nicht in Betracht. Andere Rechtsordnungen schließen Ehekonsenserklärungen etwa in Schriftform (ohne persönliche Anwesenheit) oder im Rahmen eines Telefonats nicht grundsätzlich aus. In einer Entscheidung vom Dezember 2022 musste der OGH beurteilen, ob eine Eheschließung im Iran für den österreichischen Rechtsbereich auch dann wirksam und Anlass für ein Scheidungsverfahren sein kann, wenn der in Österreich lebende Mann dabei nicht anwesend war. Auf die Frage seiner mit Generalvollmacht ausgestatteten Mutter, ob er seine im Notariat wartende Freundin heiraten wolle, hatte der Mann in einem WhatsApp-Telefonat gemeint, seine Mutter solle machen, was sie möchte.
Die Frau und der Mann sind iranische Staatsangehörige. Sie wuchsen im Iran auf und führten dort vor über 10 Jahren rund einen Monat lang eine Beziehung. Im Jahr 2012 flüchtete der Mann nach Österreich. Vor seiner Flucht erteilte er seiner im Iran lebenden Mutter eine Generalvollmacht, damit diese in seinem Namen im Iran sämtliche Angelegenheiten regeln könnte.
Nach seiner Flucht nach Österreich hatte der Mann mit seiner früheren Freundin nur noch sporadisch Kontakt, rund sechs Monate vor der späteren Eheschließung wurde dieser aber wieder häufiger. Die Frau teilte dem Mann mit, dass sie auch gerne nach Österreich kommen würde. Sie durfte allerdings den Iran nur mit Zustimmung ihres Vaters oder ihres Ehemannes verlassen, und der Vater verlangte von der Frau, dass sie vor der Ausreise den Mann heiraten müsste. Dieser bevorzugte die Variante, dass die Frau vorerst einige Zeit bei ihm in Österreich leben sollte und erst danach eine Eheschließung stattfinden würde. Wie die Frau ihre Ausreise organisiere, sei ihm egal. Daraufhin beschlossen die Familien der Frau und des Mannes, dass die beiden heiraten sollten.
Am 7.9.2018 suchten die Frau, ihre Eltern und die Eltern des Mannes ein Eheschließungsnotariat in Teheran auf. Die Mutter des Mannes legte dem Notar zur Identitätsprüfung die Geburtsurkunde und einen Lichtbildausweis des Mannes vor. Sie kontaktierte den Mann via WhatsApp-Telefonat und teilte ihm mit, dass sie in seinem Namen die Ehe mit der Frau abschließen würde. Der Mann befand sich gerade bei der Arbeit, äußerte keine Einwände und beendete das Gespräch nach wenigen Sekunden. Auf die Frage seiner Mutter, ob er sicher sei, dass er die Frau heiraten wollte, forderte er seine Mutter auf, „zu machen, was sie möchte“. Die Mutter des Mannes unterzeichnete die Heiratsdokumente in seiner Vertretung. Einige Monate nach dieser Eheschließung erhielt die Frau ein Visum und reiste zum Mann nach Österreich.
Mit Klage vom 1.3.2021 begehrte die Frau die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Mannes gemäß § 49 EheG. Der Beklagte beantragte die Klageabweisung, hilfsweise den Ausspruch, dass die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Frau geschieden werde sollte, und stützte den Antrag auf Abweisung der Klage darauf, dass die Ehe nichtig sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Scheidung der Ehe setze den Bestand und die Anerkennung der Ehe voraus. Da beide Parteien iranische Staatsangehörige seien, sei die Gültigkeit der Eheschließung nach iranischem Recht zu beurteilen. Der Mann habe seiner Mutter aber bereits mehr als 10 Jahre vor der Eheschließung eine Generalvollmacht erteilt. Zum Zeitpunkt dieser Vollmachtserteilung habe er von einer möglichen Eheschließung mit der Frau nichts gewusst. Daher sei fraglich, ob eine Stellvertretung der Mutter des Mannes zum Zeitpunkt der Eheschließung wirksam gewesen sei. Ein wenige Sekunden dauerndes Telefongespräch unmittelbar vor Abschluss der Ehe sei nicht ausreichend, um eine gültige Bevollmächtigung der Mutter für die konkrete Eheschließung zu bewirken. Die Eheschließung sei somit auch nach iranischem Recht nicht gültig.
Sollte die Bevollmächtigung der Mutter des Beklagten nach iranischem Recht für die Eheschließung ausreichend gewesen sein, stelle sich die Frage nach der Anerkennung dieser Eheschließung in Österreich. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe richte sich nach den §§ 97 bis 99 AußStrG. Die in Abwesenheit des Beklagten registrierte Eheschließung widerspreche als „Stellvertreterehe“ den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung. Daher liege ein Verweigerungsgrund nach § 97 AußStrG vor.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.
Der OGH gab der Revision der Klägerin Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Aus der OGH-Entscheidung:
1. Die aufgrund des Auslandsbezugs – von Amts wegen – zu prüfende Frage des anzuwendenden Rechts haben die Vorinstanzen richtig gelöst. (…) Die Vorfrage nach dem Bestehen einer Ehe ist grundsätzlich nach österreichischem Kollisionsrecht, konkret nach den §§ 16, 17 IPRG zu bestimmen.
16 IPRGregelt, in welcher Form eine Ehe geschlossen werden muss, um für den österreichischen Rechtsbereich Wirksamkeit zu entfalten (Formstatut). Unter „Form“ ist die Art und Weise zu verstehen, in der der Ehekonsens zu erklären ist, also der äußere Ablauf des Eheschließungsakts. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit einer Ferntrauung. Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschrift des Ortes der Eheschließung (§ 16 Abs. 2 IPRG; RS0127050).
17 IPRGregelt die sachlichen Ehevoraussetzungen und die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser sachlichen Ehevoraussetzungen, und zwar alle Rechtsfolgen des maßgeblichen Rechts, die an die Missachtung sachlicher Voraussetzungen geknüpft sind (RS0077152). Diese sind für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu beurteilen (§ 17 IPRG). Zu diesen sachlichen Voraussetzungen zählen auch Konsenserfordernisse (RS0077152 [T2]).
Beide Parteien sind iranische Staatsangehörige, die Eheschließung fand im Iran statt. Die Gültigkeit der Eheschließung ist daher nach iranischem Recht zu beurteilen. (…)
2. (…) Nach § 1062 des iranischen Zivilgesetzbuches (ZGB) kommt die Ehe als Folge eines Angebots und einer Annahme in Form von ausgesprochenen Erklärungen zustande, die den Willen, eine Ehe einzugehen, eindeutig erkennen lassen. Abgesehen von dem somit normierten Schriftlichkeitsverbot unterliegen die erforderlichen Erklärungen keinen besonderen Formerfordernissen. (…)
Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat der Beklagte seiner Mutter nicht nur eine Generalvollmacht erteilt, sondern diese unmittelbar vor der Eheschließung mündlich für die Abgabe der konkreten Ehekonsenserklärung bekräftigt. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene Anweisung an seine Mutter, „zu machen, was sie möchte“, kann im Gesamtzusammenhang nur so verstanden werden, dass der Beklagte die Mutter zur Abgabe der Ehewillenserklärung im Außenverhältnis bevollmächtigte und im Innenverhältnis ermächtigte. (…) Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die im Iran durch Ferntrauung geschlossene Ehe der Streitteile nach dem anwendbaren iranischen Recht grundsätzlich wirksam ist.
3. Das nach dem Kollisionsrecht berufene fremde Recht wäre nicht anzuwenden, wenn die Anwendung zu einem Ergebnis führte, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist (§ 6 IPRG; „negativer ordre public“). Diese Prüfung der Vereinbarkeit mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung ist auch im Verfahren zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe nach den §§ 97 bis 99 AußStrG geboten. Die auch ohne ein besonderes Verfahren als Vorfrage selbstständig zu beurteilende Anerkennung einer ausländischen Entscheidung (§ 97 Abs. 1 letzter Satz AußStrG) ist zu verweigern, wenn sie den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht (§ 97 Abs. 2 Z 1 AußStrG). (…)
Die Vorbehaltsklausel der Ordre-public-Widrigkeit ist als eine systemwidrige Ausnahme nur dann anzuwenden, wenn das inländische Rechtsempfinden in unerträglichem Maß verletzt wird, also Grundwertungen des österreichischen Rechts beeinträchtigt werden (RS0110743; RS0058323; RS0016665 [T5]). (…)
Nach österreichischem Recht ist eine Stellvertretung bei der Abgabe der Konsenserklärung ausgeschlossen. Gemäß § 17 Abs. 1 EheG müssen die Verlobten bei der Eheschließung gleichzeitig anwesend sein und ihren Ehewillen persönlich erklären. Ein Verstoß gegen den ordre public liegt aber nur bei einer Verletzung grundlegender Wertungen des österreichischen Rechts vor. Der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften genügt nicht (8 Ob 7/22w m.w.N.; RS0110743 [T3, T9]). Eine Eheschließung durch bevollmächtigte Vertreter ist auch im Bereich der Europäischen Union nicht generell unzulässig. Bis zum Jahre 1983 hat die Möglichkeit einer Ferntrauung noch dem österreichischen Rechtsbestand angehört. Sie wurde erst mit dem Personenstandsgesetz 1983 (BGBl 1983/60) beseitigt. Eine Ferntrauung, bei der die Mittelsperson den Ehewillen des Verlobten lediglich als Erklärungsbote überbringt, begegnet insofern keinen Bedenken. Allein darin liegt daher kein Verstoß gegen den materiellen ordre public. (…)
Eine Vertretung im Willen mit Partnerauswahlbefugnis oder Entschließungsermessen, sodass sie einer Zwangsehe nahekommt, war im hier zu beurteilenden Fall nicht gegeben. Dem Beklagten wurde weder die Klägerin als Ehepartnerin noch die Eheschließung aufgezwungen. Der Beklagte kannte seine zukünftige Ehepartnerin und hat sie sich auch „ausgesucht“. Der Beklagte besprach mit der Klägerin ihre Ausreise nach Österreich und die Eheschließung. Er erklärte dabei zwar, erst in Österreich heiraten zu wollen. In Kenntnis dessen, dass die Klägerin die Eheschließung für die Ausreise benötigte, überließ er es letztlich aber ihr, diese Ausreise zu bewerkstelligen. Auch im Telefongespräch mit der Mutter kurz vor der Eheschließung sprach er sich nicht gegen die Eheschließung schon zu diesem Zeitpunkt aus, vielmehr ermächtigte er sie dazu. (…)
Eine Ferntrauung, bei der – wie hier – aufgrund der konkreten Umstände das Vorliegen einer freien Willensentscheidung nicht in Zweifel zu ziehen ist, verstößt nicht gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts. (…) Das berufene fremde Recht ist anzuwenden und das Bestehen der Ehe zu bejahen.
4. Das Erstgericht hat – ausgehend von seiner vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsansicht – das Beweisverfahren auf die Frage des Bestands der Ehe beschränkt und zu den für das Scheidungsbegehren und die Verschuldensteilung wesentlichen Fragen keine Feststellungen getroffen. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache war zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. (…)
OGH 1.12.2022, 5 Ob 42/22w