Eine jordanische Staatsangehörige und ein österreichischer Staatsbürger schlossen im Jahr 2009 in Riad (Saudi-Arabien) die Ehe. Die Auflösung der Ehe vor dem Familiengericht Nord-Riad erfolgte am 14.7.2016 in Form eines Ausspruchs der Scheidungsformel durch den Mann. Dieser beantragte ca. 10 Monate später bei einem österreichischen Gericht die Anerkennung der Ehescheidung. Der gewöhnliche Aufenthalt der Ehepartner während des Scheidungsverfahrens sei in Deutschland und Saudi-Arabien gewesen.

Das Erstgericht wies den Antrag wegen internationaler Streitanhängigkeit im Hinblick auf ein Anerkennungsverfahren in Deutschland zurück. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Antrag abgewiesen wurde. Der OGH hob die Beschlüsse der Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung zum gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien im Scheidungszeitpunkt sowie zur fraglichen Zustimmung der Frau zur Eheauflösung auf.

Aus der OGH-Entscheidung:

Die Antragsgegnerin sprach sich gegen den Antrag aus. Das Verfahren in Österreich sei wegen eines in Deutschland anhängigen Verfahrens auf Anerkennung derselben Scheidung unzulässig. Die ausländische Scheidung sei darüber hinaus nicht anzuerkennen, weil die Parteien seit dem Jahr 2009 ihren Wohnsitz in Deutschland hätten, weshalb Deutschland für die Scheidung international zuständig gewesen sei. Darüber hinaus seien Scheidungen nach der Scharia in der EU nicht anzuerkennen.

Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Staat die Entscheidungen eines anderen Staats anerkennt, ist eine souveräne Entscheidung. Dabei erstrecken sich die Wirkungen der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung nach autonomem staatlichen Recht ausschließlich auf das Staatsgebiet des Anerkennungsstaats. (…)

Zur Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung:

Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe richtet sich gemäß § 100 AußStrG nach völkerrechtlichen Abkommen oder Rechtsakten der EU; sonst nach den §§ 97 ff AußStrG. Ein hier anzuwendendes völkerrechtliches Übereinkommen ist nicht ersichtlich. Die Brüssel IIa-VO ist im Anlassfall nicht anwendbar, weil die Anerkennung von Entscheidungen, die in einem Drittstaat ergangen sind, nicht unter das Unionsrecht fällt.

Gemäß § 97 Abs. 1 AußStrG wird eine ausländische Entscheidung überdie Ehescheidungin Österreich anerkannt, wenn sie rechtskräftig ist und kein Grund zur Verweigerung der Anerkennung vorliegt. Der Begriff der „Entscheidung“ im Sinn des § 97 AußStrG ist weit auszulegen und nicht auf konstitutive Entscheidungen einer ausländischen Behörde über die Auflösung bzw. den Bestand einer Ehe einzuschränken. Vielmehr reicht es aus, dass das Gericht an der Ehescheidung – wenngleich nur durch Abhaltung eines Schlichtungsverfahrens oder durch Registrierung der Scheidung – mitgewirkt hat. Wie sich aus der vom Antragsteller vorgelegten Scheidungsurkunde ergibt, hat das Familiengericht Nord-Riad die durch Ausspruch der Scheidungsformel stattgefundene Scheidung der Parteien bestätigt. Damit liegt eine ausländische „Entscheidung“ im Sinn des § 97 Abs. 1 AußStrG vor.

97 Abs. 2 AußStrG regelt die Gründe für eine Verweigerung der Anerkennung.

Gemäß § 97 Abs. 2 Z 1 AußStrG ist die Anerkennung zu verweigern, wenn sie den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht. Dabei ist zwischen der Anerkennungsfähigkeit in Bezug auf den Inhalt der Entscheidung (materieller ordre public) sowie im Hinblick auf das der Entscheidung vorangegangene Verfahren (formeller ordre public) zu unterscheiden.

Bei der ordre public-Prüfung ist nicht das ausländische Recht als solches, sondern das Ergebnis seiner Anwendung zu beurteilen. Im Vergleich zu § 6 IPRG ist die materiell-rechtliche ordre public-Prüfung gemäß § 97 Abs. 2 Z 1 AußStrG abgeschwächt, weil es einen Unterschied macht, ob österreichische Gerichte an der Statusbegründung bzw. -beendigung (unter Beachtung von § 6 IPRG im Zuge der Anwendung ausländischen Rechts) mitwirken oder ob eine solche bereits im Ausland erfolgte und ihre Nichtanerkennung zudem zu hinkenden Rechtsverhältnissen führen würde. Der OGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine Scheidung durch einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann nach islamischem Recht (talaq) dem inländischen ordre public widerspreche. (…) Zu6 Ob 69/11g wurde hingegen ausgesprochen, dass die Anerkennung einer islamisch-rechtlichen Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann (bei ausreichendem Inlandsbezug) nur dann im Widerspruch zum inländischen (materiellen) ordre public stehe, wenn sie ohne das Einverständnis der Frau erfolgte. Als maßgeblich für die Ablehnung der Anerkennung erwies sich, dass die Ehefrau durch die spätere Einbringung einer Scheidungsklage in Österreich zu erkennen gegeben hatte, mit der im Iran stattgefundenen Verstoßung von Anfang an nicht einverstanden gewesen zu sein.

Die Rechtsansicht, dass das Einverständnis der Ehefrau mit der einseitigen Verstoßungsscheidung die ordre public-Widrigkeit der Anerkennung einer derartigen ausländischen Entscheidung beseitige, entspricht der im Schrifttum einhellig vertretenen Auffassung. Das wird unter anderem damit begründet, dass ein staatliches Interesse am Schutz einer Ehe, die aus Sicht der Partner gescheitert ist, nicht ersichtlich sei.

Keine einhellige Ansicht besteht darüber, ob allein die Zustimmung zur Statusänderung – also der Auflösung der Ehe – oder auch eine Zustimmung zur Art der Entscheidung vorliegen müsse. (…) Der Senat hält an der bereits zu 6 Ob 69/11g vertretenen Rechtsansicht fest, wonach das Anerkennungshindernis des § 97 Abs. 1 Z 1 AußStrG dann nicht vorliegt, wenn die Ehefrau von Anfang an mit der einseitigen Verstoßungsscheidung einverstanden war.

Derartiges behauptet der Antragsteller in seinem Revisionsrekurs.

Klarzustellen ist aber, dass nach Ansicht des Senats nicht schlechthin jede (vermögensrechtliche oder sonstige) Disposition, die die verstoßene Ehefrau im Hinblick auf die (im Entscheidungsstaat jedenfalls gültige) Entscheidung über die Ehescheidung trifft, als eine die ordre public-Widrigkeit beseitigende Zustimmung gewertet werden kann.

Im vorliegenden Fall wurde die mögliche ordre public-Widrigkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit dem im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren unvertretenen Antragsteller bislang nicht erörtert. Zur Vermeidung einer – auch im Außerstreitverfahren verbotenen – Überraschungsentscheidung bedarf es daher der Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen. Den Parteien wird im fortgesetzten Verfahren Gelegenheit zur Äußerung zu diesem Aspekt zu geben sein. Ausgehend davon wird das Erstgericht Feststellungen zu treffen haben, aufgrund derer beurteilt werden kann, ob die Antragsgegnerin selbst die mit der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung beurkundete Ehescheidung anstrebte, wie der Antragsteller dies behauptet, oder ob sie sich der vom Antragsteller initiierten Scheidung nicht widersetzen konnte.

Sollte die Scheidung dem freien Willen der Antragsgegnerin entsprochen haben, wäre der Verweigerungsgrund des § 97 Abs. 2 Z 1 AußStrG nicht erfüllt.

Zur internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte:

Aus dem Akt ergibt sich darüber hinaus das mögliche Vorliegen des Versagungsgrundes des § 97 Abs. 2 Z 4 AußStrG. Nach dieser Bestimmung ist die Anerkennung einer Entscheidung zu verweigern, wenn die erkennende Behörde bei Anwendung des österreichischen Rechts international nicht zuständig gewesen wäre. Demnach hat die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaats durch eine spiegelbildliche Anwendung des österreichischen internationalen Zuständigkeitsrechts, also insbesondere des § 76 Abs. 2 JN zu erfolgen („österreichische Jurisdiktionsformel“). Ergibt sich, dass die erkennende Behörde des Ursprungsstaats unter spiegelbildlicher Anwendung österreichischen Rechts international unzuständig gewesen wäre, ist die Anerkennung zu versagen.

Gemäß dem hier einschlägigen § 76 Abs. 2 JN ist für Streitigkeiten über die Scheidung einer Ehe die inländische Gerichtsbarkeit gegeben, wenn (1) eine der Parteien die österreichische Staatsbürgerschaft hat oder (2) die beklagte Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder (3) die klagende Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und beide Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben (die übrigen Fälle der Z 3 sind hier nicht relevant).

Nach dem Antragsvorbringen lag der gewöhnliche Aufenthalt der Parteien im Scheidungszeitpunkt in Deutschland und Saudi-Arabien. Die Vorinstanzen haben dazu keine Feststellungen getroffen. Damit kann das Vorliegen des Versagungsgrundes des § 97 Abs. 2 Z 4 AußStrG nicht beurteilt werden.

So steht zwar fest, dass die Parteien nicht Staatsangehörige des Königreichs Saudi-Arabien sind, sodass die spiegelbildliche Anwendung des § 76 Abs. 2 Z 1 JN die hypothetische internationale Zuständigkeit des saudischen Familiengerichts nicht zu begründen vermag. Allerdings fehlen Feststellungen zu einem allfälligen gewöhnlichen Aufenthalt (im Sinn des § 66 Abs. 2 JN) oder dem letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt beider Parteien im Königreich Saudi-Arabien. Dies ist aber für die spiegelbildliche Beurteilung nach § 76 Abs. 2 Z 2 und Z 3 JN erforderlich.

Sollte sich erweisen, dass die Antragsgegnerin – die „spiegelbildlich“ als beklagte Partei im Sinn des § 76 Abs. 2 Z 2 JN anzusehen ist – zum Zeitpunkt der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Königreich Saudi Arabien hatte oder es an den kumulativen (spiegelbildlichen) Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z 3 JN fehlt (gewöhnlicher Aufenthalt des Antragstellers und letzter gemeinsamer Aufenthalt beider Parteien im Königreich Saudi-Arabien), stünde der Anerkennung der ausländischen Entscheidung der Verweigerungsgrund des § 97 Abs. 2 Z 4 AußStrG entgegen.

OGH 27.11.2019, 6 Ob 115/19h