Der OGH will getroffenen Obsorgeregelungen eine Möglichkeit zur Bewährung geben und verschärft die Erfolgsvoraussetzungen für Anträge nach § 180 Abs. 3 ABGB. Eine Änderung der vereinbarten oder gerichtlich geregelten Obsorge setzt zwar keine Gefährdung des Kindeswohls, aber einen für das Kindeswohl „akuten Handlungsbedarf“ voraus – vor allem bei Anträgen, mit denen schon recht bald nach der letzten Regelung ein neues Verfahren eingeleitet wird. Mit dieser Judikatur werden die Chancen für Eltern, eine Obsorgeänderung durchzusetzen, geringer und die Verfahren für Kinder seltener und kürzer.
Aus der OGH-Entscheidung:
Ist die Obsorge endgültig geregelt, kann nach § 180 Abs. 3 ABGB jeder Elternteil, sofern sich die Verhältnisse maßgeblich geändert haben, bei Gericht eine Neuregelung der Obsorge beantragen. § 180 Abs. 3 ABGB gilt – dem Zweck der Regelung entsprechend – auch für den Fall, dass zwar die vereinbarte Obsorge beider Elternteile aufrecht erhalten werden soll, aber über den Antrag eines Elternteils zu entscheiden ist, der eine hauptsächliche Betreuung des Kindes in seinem Haushalt anstrebt.
Die nachträgliche Änderung einer bestehenden Obsorgeregelung setzt – anders als eine Sicherungsverfügung nach § 181 ABGB – keine Gefährdung des Kindeswohls voraus, doch muss die Änderung der Verhältnisse gewichtig sein. § 180 Abs. 3 ABGB dient nicht dazu, die Bewährung einer getroffenen Obsorgeregelung durch einen binnen kurzer Zeit erhobenen, auf eine angebliche Umstandsänderung gestützten Antrag auf Neuregelung zu vereiteln.
Kommen die Eltern nach ihrer Trennung im Rahmen ihrer einvernehmlichen Scheidung [hier: im April 2017] zu einer Obsorgeregelung, so kann nach einem nur wenige Monate später [hier: im September 2017] erhobenen Antrag auf Neuregelung der Obsorge oder der hauptsächlichen Betreuung – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall einer konkreten Kindeswohlgefährdung – eine wesentliche Verhältnisänderung nur dann angenommen werden, wenn auf eine gewichtige, konkret absehbare Änderung der für das Kindeswohl aktuell maßgeblichen Umstände reagiert werden muss. Mit einer Trennungsverarbeitung und der Anpassung an neue Lebens- und Familienverhältnisse häufig verbundene Schwierigkeiten ohne einen für das Kindeswohl akuten Handlungsbedarf und ein bloßer Günstigkeitsvergleich der Entwicklungsmöglichkeiten bei einem oder beim anderen Elternteil bilden dagegen allein keine im Sinn des § 180 Abs. 3 ABGB maßgebliche Änderung der Verhältnisse, die mit einem kurzfristig erhobenen, einer Chance auf eine kontinuierliche Entwicklung gerade widersprechenden Antrag auf Neuregelung der Obsorge oder der hauptsächlichen Betreuung geltend gemacht werden könnte.
OGH 29.5.2019, 7 Ob 77/19b