Entscheidungen über die zukünftige Unterhaltsverpflichtung eines selbstständig erwerbstätigen Elternteils sind grundsätzlich die drei letzten abgeschlossenen Wirtschaftsjahre vor der erstgerichtlichen Beschlussfassung zugrunde zu legen. Dabei erfordert die Feststellung des unterhaltsrelevanten Einkommens eines Landwirts im Regelfall die Einholung eines Sachverständigengutachtens. In einer Entscheidung vom Mai 2024 erläutert der OGH die Gründe für diesen notwendigen Verfahrensschritt und dafür, dass Erwägungen zum Lebensstandard des unterhaltspflichtigen Elternteils keine gleichrangige Methode zur Klärung der Bemessungsgrundlage sind.
Aus der OGH-Entscheidung:
1.1. Bemessungsgrundlage für die Unterhaltsverpflichtung ist nach einhelliger Auffassung die Summe aller tatsächlichen in Geld oder geldwerten Leistungen erzielten Einkünfte, über die der Unterhaltspflichtige verfügen kann. Das ist bei unselbstständig Erwerbstätigen das Nettoeinkommen, also das Bruttogehalt einschließlich Überstundenentlohnung und Sonderzahlungen vermindert um Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge. Bei selbstständig Erwerbstätigen ist dagegen nicht der steuerliche Reingewinn maßgebend, sondern der tatsächlich verbleibende, wie er sich aus den realen Einnahmen unter Abzug realer Betriebsausgaben sowie der Zahlungspflicht für einkommens- und betriebsgebundene Steuern und öffentliche Abgaben ergibt. Insgesamt ist das Gesamteinkommen des Unterhaltspflichtigen nach Abzug von Steuern und öffentlichen Abgaben vom Einkommen und die sich daraus ergebende tatsächliche wirtschaftliche Lage entscheidend, somit die Summe der dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel (2 Ob 115/11t = EF-Z 2012/44 [Gitschthaler] mit weiteren Nachweisen; RS0013386 [T11, T35] u.a.).
1.2. Nach ebenso ständiger Rechtsprechung erfolgt bei selbstständig Tätigen ganz allgemein die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage für zukünftigen Unterhalt aus dem Durchschnittseinkommen der drei letzten, der Beschlussfassung vorangehenden Wirtschaftsjahre, sofern nicht gesicherte aktuelle Daten zur Verfügung stehen. Damit sollen Einkommensschwankungen, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführen sind, ausgeschaltet und eine verlässliche Bemessungsgrundlage gefunden werden (RS0053251 [T5, T6, T16]). Das gilt nicht nur für „Betriebseinnahmen-Betriebsausgaben-Rechner“ gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1988, sondern auch bei der Gewinnermittlung durch Bilanzierung gemäß § 4 Abs. 1 EStG 1988 (RS0053251 [T1]).
1.3. Anstelle des Betriebsergebnisses treten die Nettoprivatentnahmen (Privatentnahmen vermindert um die auf den Unternehmensgewinn entfallende Einkommenssteuer), wenn diese den Reingewinn übersteigen oder die Betriebsbilanz einen Verlust aufweist. Privatentnahmen sind alle nicht betrieblichen Bar- und Naturalentnahmen (RS0047382 [T6]; RS0013386 [T33, T49]).
1.4. Handelt es sich beim Unterhaltspflichtigen um einen selbstständigen Land- und Forstwirt, so sind die diesem aus dem Betrieb zukommenden Naturalbezüge, soweit sie in Geld bewertbar sind, jedenfalls bei der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen, bietet doch hier der reine Finanzertrag des Betriebs allein kein vollständiges Bild der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebsführers (8 Ob 106/13s = EF-Z 2014/160 [Gitschthaler]; siehe auch RS0109238). Zudem sind die einem unterhaltspflichtigen Land- und Forstwirt zustehenden Förderungen Bestandteil von dessen Einkommen und damit in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (1 Ob 180/97w; RS0107943).
1.5. Der Lebenszuschnitt kann nach der Rechtsprechung ausnahmsweise dann zur Bestimmung der Unterhaltsbemessungsgrundlage herangezogen werden, wenn das Einkommen nicht ermittelt werden kann, der Lebensaufwand des Unterhaltspflichtigen aber für ein bestimmtes Einkommen spricht (2 Ob 224/08t; 3 Ob 111/13i = EF-Z 2014/80 [Gitschthaler]). Auf den Lebenszuschnitt zu rekurrieren setzt also voraus, dass hinsichtlich von Einkünften aus Arbeit und/oder Vermögen keine konkreten Feststellungen möglich sind (in diesem Sinne auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 [2019] Rz 198/7).
2. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen in mehrerer Hinsicht mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht im Einklang. (…)
3. Im Revisionsrekurs wird – wie auch bereits im Rekurs – die Abweisung des Antrags der Rechtsmittelwerberin auf Einholung des Gutachtens eines Buchsachverständigen zur Eruierung der betrieblichen Einkünfte ihres Vaters gerügt. Auch hier befindet sich die Revisionsrekurswerberin grundsätzlich im Recht:
Hier hat die Minderjährige von Anfang an auf die Einholung eines Gutachtens zur Klärung des Einkommens ihres Vaters gedrängt und ist die Einholung eines solchen zur Klärung des strittigen Unterhalts auch notwendig. Dass, wie vom Rekursgericht vertreten, das Erstgericht die Einkommens- und Vermögenslage des Vaters „umfassend erhoben und dabei auch die aus den Finanzübersichten, Kontoauszügen und Kontenregisterausdrucken ersichtlichen Zahlungsein- und -ausgänge berücksichtigt [hat]“, überzeugt bereits deshalb nicht, weil es hier um einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb geht und – wie bereits in Punkt 1.4. angeführt – bei einem solchen regelmäßig betriebliche Naturalempfänge des Unterhaltspflichtigen mitzuberücksichtigen sind, welche ihrer Natur nach aber gerade nicht in den genannten Unterlagen aufscheinen. Die Einholung eines Gutachtens ist in einem solchen Fall regelmäßig – und so auch hier – notwendig (zu einem solchen Gutachten siehe auch Bochsbichler, Unterhaltsrelevantes Einkommen aus land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, SV 2014, 188).
Es kann dahingestellt bleiben, ob der auf das Verfahren außer Streitsachen ausgedehnte Grundsatz, dass ein vom Gericht zweiter Instanz verneinter erstinstanzlicher Mangel in dritter Instanz nicht erfolgreich zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden kann, hier schlagend wird. Im Pflegschaftsverfahren wäre dieser ohnehin dann nicht anzuwenden, wenn das die Interessen des Kindeswohls erfordern (RS0050037 [T1]; RS0030748 [T2, T5, T18, T24]). In einem Unterhaltsverfahren gilt dies zumindest bei Vorliegen „besonderer Gründe“ (vgl. RS0050037 [T5 und T9]; RS0030748 [T4, T7]). Hier erfordert bereits die Unvollständigkeit der Sachverhaltsgrundlage letztlich die Einholung eines Gutachtens aus dem Bereich der Land- und Forstwirtschaft bzw. der Buchhaltung. Ein solches Gutachten hier einzuholen ist entgegen der Ansicht des Rekursgerichts auch nicht unverhältnismäßig im Sinn des § 34 AußStrG. Strittig ist immerhin noch ein (weiterer) monatlicher Unterhalt von 250 € und weist doch der verfahrensgegenständliche Betrieb allein hinsichtlich der bewirtschafteten Eigenfläche, folgt man dem Grundbuch, immerhin eine Größe von ca. 17 ha auf; hinzu kommt die mitbewirtschaftete Fremdfläche in noch nicht festgestelltem Ausmaß.
4. Es sind daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Eruierung des land- und forstwirtschaftlichen Einkommens des Vaters (Ermittlung des tatsächlichen Nettoertrags des Betriebs; Ermittlung der privaten Geld- und Naturalentnahmen aus dem Betrieb) aufzuheben. (…)
OGH 22.5.2024, 8 Ob 50/24x