Gemäß § 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB steht einem grundsätzlich unterhaltsberechtigten Ehepartner nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts dann kein Anspruch auf ehelichen Unterhalt zu, wenn dessen Geltendmachung ein Missbrauch des Rechts wäre. In seiner Entscheidung 1 Ob 77/25t legte der OGH im Rahmen der Beurteilung des Unterhaltsbegehrens des Ehemanns gegen die unterhaltspflichtige Ehefrau dar, unter welchen Voraussetzungen ein Unterhaltsverlangen nach der Erstattung einer Strafanzeige als rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann.
Aus der OGH-Entscheidung:
Bei Beurteilung, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs rechtsmissbräuchlich wäre, ist ein strenger Maßstab anzulegen (RS0009759 [T5, T9]). Eine Verwirkung des Unterhalts tritt nur in besonders krassen Fällen ein, wenn dessen Geltendmachung wegen des Verhaltens des an sich unterhaltsberechtigten Ehegatten grob unbillig wäre (RS0009759; RS0009766). Sie setzt dabei regelmäßig den völligen Verlust des Ehewillens des unterhaltsberechtigten Ehegatten voraus. Dieser muss sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinweggesetzt haben. Entscheidend ist, ob der an sich Unterhaltsberechtigte aus eigenem Verschulden den Ehewillen weitgehend und dauernd aufgegeben hat (RS0009759 [T15, T16]).
Bei der Wertung des Gewichts der Eheverfehlungen und ihrer Eignung, den Unterhaltsanspruch bei aufrechtem Bestand der Ehe zum Erlöschen zu bringen, ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung (vgl. 1 Ob 161/21i m.w.N.) auf das objektive Gewicht der ehewidrigen Verhaltensweisen sowie das Maß der subjektiven Verantwortlichkeit (also das Verschulden) des betreffenden Ehegatten abzustellen (RS0005919); es dürfen aber – im Sinn einer umfassenden Interessenabwägung – auch die Begleitumstände und das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden (RS0009759 [T12]; RS0047080 [T10]). Bloße Reaktionen auf ein bereits davor gesetztes ehewidriges Verhalten bilden grundsätzlich keinen Verwirkungstatbestand (7 Ob 132/24y). (…)
Die Beklagte nimmt zwar in ihren Revisionsausführungen umfassend auf die verschiedenen Verfehlungen des Klägers Bezug, lässt dabei aber ihr jeweiliges eigenes Vorverhalten, das zur zunehmenden Eskalation des Ehestreits mit beigetragen hat, weitgehend außer Betracht:
Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sie den Kläger zum einen im Frühjahr 2017 der (im Verfahren nicht nachgewiesenen) unberechtigten Zueignung einer beträchtlichen Bargeldsumme geziehen, eine Strafanzeige in den Raum gestellt und später gestützt auf diesen Vorwurf namens der gemeinsamen Gesellschaft eine Schadenersatzklage wegen verbotener Einlagenrückgewähr gegen ihn eingebracht. Zum anderen hat sie den Zugriff des Klägers auf den Server (auch) des gemeinsamen Unternehmens der Streitteile eigenmächtig unterbunden. Damit hat sie aber jedenfalls die maßgebliche wirtschaftliche Basis des Klägers erheblich gefährdet.
Abgesehen davon hat sie im Februar 2018 den Kläger im Zuge einer – auf Anraten ihres Rechtsvertreters erfolgten – Strafanzeige dem (im vorliegenden Verfahren ebenso wenig verifizierten) Verdacht der Urkundenunterdrückung durch Beiseiteschaffen von Ordnern mit Buchhaltungsunterlagen ausgesetzt, obwohl ihr der Kläger mitgeteilt hatte, dass er am (angeblichen) Vorfallstag ortsabwesend war, und sie die Ordner schon längere Zeit nicht gefunden hatte.
Aus diesen vorangegangenen Handlungen der Beklagten haben die Vorinstanzen nicht etwa – wie in der Revision kritisiert – geschlossen, der Kläger habe nachfolgend jeweils bloß „entschuldbare Reaktionshandlungen“ gesetzt. Vielmehr gelangten sie unter Bedachtnahme auf das wechselseitige Vorgehen der Ehepartner zum Ergebnis, dass die Eheverfehlungen des Klägers in ihrer Gesamtheit – auch unter Bedachtnahme auf dessen Strafanzeigen gegen die Beklagte, ihren Rechtsvertreter und den von ihr beauftragten EDV-Techniker – bei gebotener umfassender Interessenabwägung nicht als ein so krasses Fehlverhalten gegenüber der Beklagten zu qualifizieren seien, dass die Geltendmachung von Unterhalt grob unbillig wäre. Diese Beurteilung bedarf keiner Korrektur durch den OGH.
Die Erstattung einer Anzeige durch den Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten kann zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB (oder § 74 EheG) führen, wenn sie nicht in Wahrung berechtigter eigener Interessen, sondern im vollen Bewusstsein, die Interessen des Verpflichteten zu beeinträchtigen, erstattet wird (vgl. RS0057429). Nicht schon objektiv unrichtige, sondern nur bewusst wahrheitswidrige Anschuldigungen können zur Unterhaltsverwirkung führen (RS0078153 [T8]). Objektiv unzutreffende Beschuldigungen sind nur dann rechtswidrig, wenn entweder damit der Rahmen des sachdienlichen (notwendigen) Vorbringens überschritten wird oder die Anschuldigungen wider besseres Wissen geäußert wurden (vgl. 3 Ob 114/22v m.w.N.; RS0093379).
Ein so weitreichender Vorwurf ist dem Kläger nach den Urteilsfeststellungen nicht zu machen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich eine (bewusst) falsche Anschuldigung nicht aus dem bloßen Umstand, dass infolge der Anzeige des Klägers teils überhaupt von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen wurde und teils initiierte Ermittlungsverfahren nach § 190 Z 1 StPO a.F. aus rechtlichen Erwägungen eingestellt wurden. Ebenso wenig kann mit Blick auf die Feststellungen der Vorinstanzen zu den Beweggründen des Klägers davon die Rede sein, dass er die Anzeigen nicht in Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen, sondern praktisch bloß mit Schädigungsabsicht erstattete. Der in der Revision ins Treffen geführte Eventualvorsatz des Klägers in Ansehung einer Schädigung der Beklagten reicht nach der dargestellten Rechtsprechung des OGH gerade nicht aus. (…)
OGH 24.6.2025, 1 Ob 77/25t