Wenn die in einem Scheidungsverfahren geltend gemachte Eheverfehlung Gegenstand eines zwischen den Ehepartnern bereits anhängigen Schadenersatzprozesses ist, kann das Gericht den Scheidungsstreit gemäß § 190 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Haftungsansprüche unterbrechen. Der Umstand, dass eine Prozesspartei einige Monate nach dem rechtskräftigen Unterbrechungsbeschluss davon abgehen will, hebt dessen Wirkungen nicht auf. Ob ein längeres Zuwarten für eine Partei unzumutbar ist, hängt von den konkreten Umständen und vor allem von der Einschätzung der (möglichen) Nachteile durch eine weitere Verzögerung der Sachentscheidung im unterbrochenen Prozess ab. In der Entscheidung 9 Ob 42/25d lag ein solcher Ausnahmefall für eine vorzeitige Fortsetzung des Scheidungsverfahrens nicht vor.
Die Ehefrau beantragte mit Klage vom 7.12.2022 die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Ehemanns und brachte als Scheidungsgrund vor, dass der Mann gegen sie eine Klage mit der unrichtigen Behauptung eingebracht habe, sie habe als seine für den Zeitraum vom 23.7.2018 bis 1.9.2021 bestellte gesetzliche Erwachsenenvertreterin sein Vermögen missbräuchlich verwendet.
Der Mann begehrte in seiner Widerklage die Scheidung aus dem Alleinverschulden der Frau und stützte das Klagebegehren ausschließlich auf eine missbräuchliche Verwendung seines Vermögens durch die Frau als Erwachsenenvertreterin.
Im Verfahren zum AZ 2 Cg 83/22y des LG Eisenstadt (kurz: Schadenersatzverfahren) forderte der Mann von der Frau den Ersatz der von ihr missbräuchlich verwendeten Gelder.
Mit Beschluss vom 16.11.2023 wurde das Scheidungsverfahren mit Zustimmung beider Ehepartner bis zur rechtskräftigen Erledigung des Schadenersatzprozesses unterbrochen und ausgesprochen, dass es nur auf Antrag fortgesetzt werde.
Mit Urteil vom 7.3.2023 erkannte das LG Eisenstadt die Frau schuldig, dem Mann 70.414,43 € zu zahlen. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil infolge der Berufung der Frau mit Beschluss vom 20.10.2023 auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der dagegen vom Mann erhobene Rekurs wurde vom OGH zurückgewiesen (5 Ob 228/23z).
Am 7.10.2024 beantragte die Frau die Fortsetzung des Scheidungsverfahrens. Im Hinblick darauf, dass der Schadenersatzprozess weitergeführt werde, sei ihr ein längeres Zuwarten im Scheidungsstreit nicht mehr zumutbar und im Hinblick darauf, dass auch der Mann durch die Einbringung einer Widerklage gezeigt habe, dass er an der Fortsetzung der Ehe kein Interesse mehr habe, auch nicht mehr tunlich.
Das Erstgericht wies den Fortsetzungsantrag der Frau ab, weil der Schadenersatzprozess noch nicht rechtskräftig erledigt sei.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erwiderte dem Rekursargument der Frau, sie wäre gegen ihren Willen zur Fortführung der Ehe gezwungen, dass das Streitthema im präjudiziellen Schadenersatzverfahren mit dem gleichen Aufwand zu klären sei wie im Scheidungsverfahren.
Der OGH wies den außerordentlichen Revisionsrekurs der Frau wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück.
Aus der OGH-Entscheidung:
1. Trotz der bestätigenden Entscheidung des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs hier nicht jedenfalls unzulässig, weil nach § 528 Abs. 2 Z 2 ZPO jene Beschlüsse von der Unanfechtbarkeit ausgenommen sind, mit denen eine Sachentscheidung über den Rechtsschutzantrag verweigert wird. Dies ist auch bei der Bestätigung der Abweisung (oder Zurückweisung) eines Antrags auf Fortsetzung eines unterbrochenen Verfahrens der Fall.
2. Der Unterbrechungsbeschluss des Erstgerichts ist in Rechtskraft erwachsen. Nach §§ 167, 164 i.V.m. § 190 ZPO ist für die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens grundsätzlich vorausgesetzt, dass das Erlöschen des Unterbrechungsgrundes – hier die rechtskräftige Erledigung des Schadenersatzverfahrens – glaubhaft gemacht wird. Mit der Rechtskraft des Unterbrechungsbeschlusses treten die Unterbrechungswirkungen ein. Ab diesem Zeitpunkt kann nicht mehr überprüft werden, ob der vom Gericht in Anspruch genommene Grund einen gesetzlichen Unterbrechungsgrund dargestellt hat oder die Voraussetzungen für die Unterbrechung gegeben waren. Die Rechtmäßigkeit eines rechtskräftigen Unterbrechungsbeschlusses darf nicht mehr nachgeprüft werden.
3. Die Klägerin behauptet in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht das Erlöschen des von den Vorinstanzen herangezogenen Unterbrechungsgrundes, sondern argumentiert damit, dass es ihr im Lichte des Dispositionsgrundsatzes frei stehen müsse, ihren seinerzeitigen Willen zur Verfahrensunterbrechung zu ändern, das Streitthema zu verändern, andere Scheidungsgründe geltend zu machen und auch weiterhin Bemühungen zu unternehmen, ein Einvernehmen im Sinne des § 55a EheG zu erzielen.
4.1. Die Frage, ob eine Verfahrensfortsetzung auch dann in Betracht kommt, wenn aufgrund der (unerwarteten) tatsächlichen Entwicklung des präjudiziellen Verfahrens durch das weitere Zuwarten im unterbrochenen Verfahren eine unzumutbare Verzögerung eintreten würde (vgl. 9 ObA 152/16t zu § 190 ZPO; RS0128680 zu § 26 Abs. 3 AußStrG), muss hier nicht beurteilt werden. Ein solcher Ausnahmefall, der jedenfalls nur für außergewöhnliche Umstände im Ausgangsverfahren gelten kann, liegt im konkreten Einzelfall nicht vor.
4.2. Zur Beurteilung des von beiden Parteien im Scheidungsverfahren behaupteten Scheidungsgrundes bedarf es der Beurteilung, ob die Klägerin als einstweilige Erwachsenenvertreterin des Beklagten dessen Gelder missbräuchlich verwendet hat. Die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, diese Frage könne im Schadenersatzverfahren mit dem gleichen Aufwand wie im Scheidungsverfahren einer Klärung zugeführt werden, wird im außerordentlichen Revisionsrekurs von der Klägerin nicht bestritten. Dass die Klägerin andere Scheidungsgründe als bisher geltend machen möchte, behauptet sie (auch in ihrem Fortsetzungsantrag) nicht. Ebenso wenig lag ihrem Antrag das Bestreben einer Scheidung im Einvernehmen (§ 55a EheG) zugrunde. Insofern verstößt die Klägerin mit diesen Ausführungen gegen das auch im Revisionsrekursverfahren geltende Neuerungsverbot (RS0042091 [T5]).
OGH 29.4.2025, 9 Ob 42/25d