Die Mutter ist Norwegerin, der Vater Österreicher. Die Eltern trennten sich noch vor der Geburt ihrer mittlerweile zwei Jahre alten Tochter. Der Vater beantragte drei Tage nach der Geburt des Kindes, ihm die alleinige Obsorge zu übertragen, hilfsweise die gemeinsame Obsorge mit hauptsächlicher Betreuung durch ihn anzuordnen. Die Mutter lehnte die beiderseitige Obsorge ab, lebt nach wie vor in Wien und plant eine Rückkehr nach Norwegen. Der OGH trug dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung zur Betreuung des Kindes und zum Informationsaustausch zwischen den Eltern auf, nahm aber zur Frage, ob eine erhebliche Entfernung zwischen den Wohnorten der Eltern die Herstellung ausreichender Kontakte für das bei gemeinsamer Obsorge notwendige Maß an Kommunikation und Kooperation schon ausschließe, eindeutig Stellung.

Aus der OGH-Entscheidung:

Das Gesetz stellt keine näheren Kriterien dafür auf, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist. Es kommt darauf an, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt aber ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RIS-Justiz RS0128812).

Das Rekursgericht hat das Hindernis für eine gemeinsame Obsorge in der zukünftigen räumlichen Entfernung der Eltern gesehen. Wann die Mutter tatsächlich nach Norwegen zurückzukehren plant, steht aber noch nicht konkret fest. Abgesehen davon steht dieser Umstand der Anordnung der gemeinsamen Obsorge grundsätzlich nicht entgegen:

Die Obsorge beider Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kontakt zwischen den Eltern und zum Kind voraus, sodass bei räumlicher Entfernung der Eltern elektronische Kommunikationsmedien an Wichtigkeit gewinnen. Ob diese ausreichen, ist eine Frage des Einzelfalls. Es wurde wiederholt betont, dass es in der Kommunikation zwischen den Eltern als Grundlage für eine verantwortungsvolle Kooperation in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung ankommt. Auch mittels elektronischer Kommunikationsmedien kann durchaus auf einer sachlichen Ebene miteinander kommuniziert werden. Dies wurde auch schon bei Wohnsitzen der Eltern in verschiedenen Staaten grundsätzlich bejaht (9 Ob 51/16i; 10 Ob 55/18p; 1 Ob 7/19i).

Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass bereits die Distanz der geplanten Wohnsitze der Eltern gegen die gemeinsame Obsorge spricht, widerspricht damit der Judikatur.

OGH 18.9.2019, 7 Ob 123/19t

Save the date! Am 14. Mai 2020:
Talking about Familienrecht – Gemeinsame Obsorge nach der Trennung: Was spricht dafür und was dagegen?