NEUE JUDIKATUR ZUM FAMILIENRECHT & WEITERE NEWS
Der Blog umfasst aktuelle Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Arbeit im Familienrecht und nützliche Informationen.
Bei den wiedergegebenen OGH-Entscheidungen handelt es sich um wörtliche Zitate (teilweise ohne Belegstellen).
Obsorgeentziehung wegen Gefährdung des Kindeswohls nach strengem Maßstab
Obsorgemaßnahmen des Gerichts auf der Grundlage des § 181 Abs. 1 ABGB setzen nach ständiger Rechtsprechung eine offenkundige Kindeswohlgefährdung sowie die Notwendigkeit der Änderung des bestehenden Zustands voraus. Dabei hat das Gericht vor einer Obsorgeentziehung alle anderen Möglichkeiten zu prüfen, die dem Kindeswohl gerecht werden können und eine Belassung des Kindes bei den bisher betreuenden Eltern ermöglichen. Auch unter Anlegung dieses strengen Maßstabs für Eingriffe in die elterliche Obsorge rechtfertigte ein Sachverhalt, den der OGH im Februar 2024 zu beurteilen hatte, die Betrauung der Großmutter der Kinder mit der Obsorge zur Verhinderung weiterer Gefährdungen des Kindeswohls.
Aus der OGH-Entscheidung:
Gemäß § 181 Abs. 1 ABGB hat das Gericht die zur Sicherung des Wohles eines Kindes nötigen Verfügungen zu treffen, wenn die Eltern oder ein Elternteil durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden. Insbesondere darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise entziehen, wobei die Obsorge nur so weit beschränkt werden darf, als dies zur Sicherung des Wohles des Kindes notwendig ist (§ 182 ABGB).
Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohles ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen, es genügt, dass die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt wurden oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RS0048633 [T6, T7, T17, T22]). Ob ein Sachverhalt die Entziehung der Obsorge rechtfertigt, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab.
Eine Änderung in der Obsorge der Eltern darf vom Pflegschaftsgericht nur dann angeordnet werden, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten ist, wobei bei Beurteilung dieser Frage grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist (RS0048699).
Eine Entscheidung über die Entziehung der Obsorge, die einen tiefgreifenden Einschnitt in die Eltern-Kind-Beziehung bedeutet (vgl. RS0048699), erfordert eine sorgfältig erhobene Tatsachengrundlage, aus der sich aufgrund des anzulegenden strengen Maßstabs mit der nötigen Sicherheit eine konkrete und aktuelle Gefahrenlage für das Kindeswohl ableiten lässt (RS0048699 [T20, T21]).
Die Vorinstanzen sind in ihren Entscheidungen, mit der die Obsorge der väterlichen Großmutter zugewiesen wurde, von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ausgegangen. Es liegt nach den Feststellungen gegenwärtig wie auch prognostisch ein erhöhtes Risiko- und Gefährdungspotential für die Kinder vor. Das ältere Kind weist deutliche Entwicklungsverzögerungen auf, bei beiden bestehen Auffälligkeiten im Bindungsverhalten und sie weisen einen erhöhten Unterstützungs- und Förderungsbedarf auf. Es steht fest, dass weder die Mutter, bei der die Kinder bisher hauptbetreut wurden, noch der Vater geeignet sind, die Bedürfnisse der Minderjährigen trotz vorhandener Bereitschaft ausreichend zu erfüllen, dies aufgrund eigener psychischer Labilität und des fortbestehenden elterlichen Konflikts. Hingegen stellt die väterliche Großmutter, wie insbesondere aufgrund des psychologischen Sachverständigengutachtens festgestellt wurde, eine positive und stabile Bindungsperson für die Kinder, ganz besonders für die ältere Schwester, dar. Hingegen ist die Beziehung der Kinder zu beiden Elternteilen unsicher-ambivalent.
Die väterlichen Großeltern haben bereits seit Geburt der Kinder für diese erhebliche Unterstützungs- und Betreuungsleistungen erbracht, insbesondere auch nach der Trennung der Eltern während der Besuchskontakte zum im Nachbarhaus wohnenden Vater. (…)
OGH 15.2.2024, 8 Ob 4/24g
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